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■ VorlesungskritikUnaufgeklärte Aufklärer

Eigentlich hat Berlin vier Universitäten. Von der Hauptstadt aus kaum beachtet, ist der Aufbau der Potsdamer Uni inzwischen fast abgeschlossen. Auch das Moses-Mendelssohn-Zentrum für Europäisch-Jüdische Studien wurde jüngst eröffnet – Zeit also für dessen Direktor Julius H. Schoeps, endlich seine Antrittsvorlesung zu halten. Auf die akademischen Rituale scheint gerade eine junge Universität nicht verzichten zu können. In den schäbigen, viel zu kleinen Hörsaal quetschten sich neben Wissenschaftlern aus Berlin auch Potsdams Polizeipräsident Graf Schwerin und der liberale Ex- Wissenschaftsminister Hinrich Enderlein, der die Uni-Gründung in die Wege leitete und inzwischen genügend freie Zeit hat.

„Auf dem Weg zur Glaubensfreiheit: Die Herausbildung des Toleranzbegriffes in Brandenburg-Preußen im Zeitalter Moses Mendelssohns“ lautete das naheliegende Thema. Dabei räumte Schoeps mit den Klischees zur Geschichte der Toleranzidee gründlich auf. Daß die Forderung nach Glaubensfreiheit „eine der bestimmenden Signaturen des 17. und 18. Jahrhunderts“ war, mochte er noch zugestehen. Doch bestimmten eher „handfeste Interessen“ die brandenburg-preußische Einwanderungspolitik. So hätten die Juden weniger Rechte besessen als andere, die ins Land geholt wurden: Das Edikt des Großen Kurfürsten enthielt die einschränkende Formulierung, „jedoch daß sie keine Synagogen halten“. Auch die berühmten Zitate Friedrichs II., wie etwa „hier kann ein jeder nach seiner Fasson selig werden“, hielten vor der Realität des preußischen Staates nicht stand.

„Mit Toleranz im heutigen Sinne hatte das alles nicht viel zu tun. Selbst viele Aufgeklärte waren nur bedingt bereit, das Gegenüber zu akzeptieren, und zwar so, wie sich dieser selbst verstand oder definierte“, lautete das Fazit, von dem auch Montesquieu, Rousseau, Diderot oder Voltaire nicht verschont blieben, die in den Juden „gefährliche Vertreter des Aberglaubens“ gesehen hätten. Auch Kant habe „wie ein Kirchenmann des Mittelalters“ über sie gesprochen. An der Einstellung zum Judentum lasse sich jedoch ablesen, „ob diejenigen, die sich Ende des 18. Jahrhunderts für aufgeklärt hielten, tatsächlich aufgeklärt waren“.

Übrig blieb nach diesem Maßstab allein Moses Mendelssohn, ein Vorfahre von Schoeps. Dessen Buch „Jerusalem oder Über religiöse Macht und Judentum“ sei „ein Plädoyer für religiöse Duldung und gegenseitige Toleranz“ gewesen. Die Botschaft, einen anderen „nicht wegen seines Glaubens oder seiner Überzeugung auszugrenzen“, müsse immer wieder neu vermittelt werden. Das sei ein „schwieriges Unterfangen“.

Wie man sich dabei in die Nesseln setzen kann, weiß Schoeps aus eigener Erfahrung. Als der Bildhauer Alfred Hrdlicka jüngst Wolf Biermann „die Nürnberger Rassengesetze an den Hals“ wünschte, ließ Schoeps, der auch Direktor des jüdischen Museums in Wien ist, ihn wissen, daß er ihm „zu diesen direkten Worten gratulieren möchte“. Als der Brief publik wurde, stellte er klar, seine Zustimmung beziehe sich „auf den Tenor des Briefes, nicht jedoch auf einzelne Formulierungen“. Ralph Bollmann

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