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In Bonn fand am Wochenende ein erstes Symposium „zur Rettung der bosnischen Kultur“ statt ■ Von Balduin Winter
Eine Phalanx von Veranstaltern – hessische Landesregierung, Deutsche Literaturkonferenz, Börsenverein des Buchhandels, Europäischer Verleger- Verband, Haus der Sprache und Literatur in Bonn, die Zeitschrift Neue Literatur – verhieß ein eindrucksvolles Bündnis von politischer und ökonomischer Potenz und intellektueller Bedeutsamkeit. Immerhin war man am Wochenende in Bonn „zur Verteidigung der Kultur in Bosnien und Herzegowina“ angetreten, wie der Untertitel des Symposiums kundgab. Vielleicht etwas zu großspurig; und etwas spät – was einen Sarjlijer Autor zu drastischen Worten veranlaßte: „Wir sind sehr dankbar für Ihr nettes Angebot, aber wir haben drei Jahre überlebt, ohne zu merken, daß Sie da sind.“
Dabei soll wahrlich nicht der gute Willen der Organisatoren und der weit über hundert TeilnehmerInnen in Frage gestellt werden. Der war ganz massiv da, vor allem am zweiten Tag, als es um konkrete Projekte ging. Doch kommt im Anspruch und im Zeitpunkt eine ebenso simple wie leidvolle Tatsache zum Ausdruck: die politische Misere in der Bosnienfrage und das Versagen großer Teile der deutschen Intellektuellen. Kein Wunder, daß – nach drei Kriegsjahren – des öfteren von „einen Anfang machen“ die Rede war; kein Wunder, daß am Ende der Zagreber Verleger Nenad Popović das Resümee zog, die Dimensionen hätten sich umgekehrt: der große Börsenverein, der große Verlegerverband wirkten am Ende klein, während das kleine bosnische Problem im Verlauf der Tagung immer größer wurde.
Was auch zu erwarten war. Denn so klein Bosnien-Herzegowina auch geographisch sein mag, es verfügt über eine hochkomplizierte Kultur, für die hierzulande bisher nicht gerade ein brennendes Interesse aufgebracht worden ist. Einen Einblick in Geschichte, Kultur und Literatur des Landes konnten die Referate am ersten Tag vermitteln. Klaus Detlef Olof, Übersetzer und Slavist an der Universität Klagenfurt, wagte eine Strukturbeschreibung Bosniens. Peter Scherber von der Universität Göttingen warf die Frage auf, ob es überhaupt eine bosnische Literatur gebe – oder doch eher: bosnische Literaturen? Im früheren Jugoslawien, so Scherber, war es schwierig, sich der bosnischen Literatur zuzuordnen, weil die offizielle Literaturwissenschaft den bosnischen Kulturkreis zu vernachlässigen oder gar anderen Kulturkreisen zuzuschlagen pflegte. Der europäischen Slavistik gab er eine Teilschuld an dieser Misere, weil sie meist die jugoslawischen Positionen unbesehen übernommen habe. Ein Plädoyer für die Bosnistik hielt Azra Džajic, Dozentin an der Universität Göttingen. Sie analysierte die „großserbischen Irrtümer“ des Sprachreformators Vuk Karadžić im 19. Jahrhundert und zog eine Linie zum Dogma der Einhaltung des „Serbo-Kroatischen“ bis in die jüngste Vergangenheit. Sie wandte sich vor allem gegen ein „ethnisch gesäubertes Lesen.“ Sehr pointiert ging der Sarajlijer Schriftsteller Dževad Karahasan auf das Verhältnis zwischen Politik und Literatur ein. Auch bei ihm nahm die Frage der Identität einen breiten Raum ein, eine Frage, die im Verlauf der Tagung immer wieder unter verschiedenen Titeln auftauchte. Karahasan entzog sich der Logik des Entweder- Oder. Er legte die Betonung darauf, daß serbische, kroatische, jüdische und muslimische Autoren aufgrund ihrer gemeinsamen Geschichte ebensoviele Gründe haben, sich einem gemeinsamen Kulturkreis zuzurechnen wie ihren je eigenen Kulturen.
Abend stiegen die Gladiatoren, genauer, die Talkiatoren in den Ring. Der Saal der hessischen Landesvertretung in Bonn war bis auf den letzten Quadratzentimeter gefüllt, als Hessens Ministerpräsident Hans Eichel das Publikum begrüßte und die Diskutanten bat, die Frage: „Wird Bosnien vergessen?“ zu beantworten. Die Talker Volker Schwarz (Europäischer Verlegerverband), Nenad Popović (Verleger), Freimut Duve (MdB/ SPD), Friedbert Pflüger (MdB/ CDU) und Daniel Cohn-Bendit (MdEP/Bündnisgrüne) mühten sich redlich mit teilweise furiosen, teilweise gescheiten Statements, das Publikum bei Laune zu halten: „Wir sind mit dem Frieden so beschäftigt, daß wir gar nicht merken, wo Krieg ist ... wir sind eine feige, pazifizierte Gesellschaft!“ (Cohn- Bendit). Und Duve sprach von einem „Zwang in die Identität“, einer „gewaltsamen Entfernung aus der Moderne“.
Es war ein intellektuelles Vergnügen. Und genau das brachte Prof. Zdravko Grebo auf den Plan: „Sie haben sich bisher recht gut unterhalten – ich muß Ihnen leider den Abend verderben.“ Grebo, der in Sarajevo bei einem Verlag und bei Radio 99 arbeitet, zog eine bittere Bilanz, aus der deutlich wurde, daß die Debatte der zentralen Frage – wie Aggression, Genozid, Kriegsverbrechen stoppen – bislang kaum praktische Folgen gezeitigt hat. Selbst kleine Projekte, wie etwa das eines gemeinsamen Buches deutscher und bosnischer Autoren, waren bisher zum Scheitern verurteilt. Während hier nur große Worte geschwungen werden, um das eigene Gewissen zu beruhigen, hat sich die bosnische Kultur selbst verteidigt – es gibt dort Theater und Musik und Grebos Verlag hat trotz des katastrophalen Materialmangels sechs Bücher gemacht. Da stießen zwei Welten aufeinander, und es entstand Sprachlosigkeit. Grebos Anklage wurde vom geschickten Moderator zum Schlußwort erklärt, es war Zeit für das kalte Buffet.
Eine deutlich gelichtete Teilnehmerschaft traf sich am nächsten Morgen zur Erarbeitung praktischer Schritte. Eine „Edition Sarajevo“ wurde initiiert – als erstes Buch eine zweisprachige Lyrik- Anthologie mit vom bosnischen PEN ausgewählten Autoren aus Bosnien und aus dem Exil. Die Edition soll in Sarajevo hergestellt werden, der Börsenverein stellt den Apparat und die Logistik für die Distribution sicher. Unterstützung erhalten die bosnischen Verlage und Buchhandlungen in Deutschland, in erster Linie der Wuppertaler Exilverlag „Das bosnische Wort“, der bereits ohne nennenswerte öffentliche Hilfe vierzig bosnische Titel, von Kinderbüchern bis zu bosnischer Klassik, herausgebracht hat und eine Kinderzeitschrift plant. Der Vertreter des Börsenvereins, Eugen Emmerling, sagte konkrete Hilfe zu, zum Beispiel die Einschaltung der öffentlichen Bibliotheken für den Vertrieb. Eine zwei- bis dreimonatlich erscheinende Kulturzeitschrift wird von Exilanten gegründet, wobei bosnische und deutsche Verlage zusammenarbeiten wollen. Schließlich werden für rund 50.000 bosnische Kinder in Deutschland dringend Schulbücher benötigt; dazu wurde bereits ein vierstufiges Werk von der bosnischen Regierung approbiert, ungeklärt bleibt die Produktion.
Die zentralen politischen und kulturellen Streitfragen blieben naturgemäß offen. Das Bemühen um praktische Schritte und gemeinsame Projekte war das positive Resultat der Tagung. Was davon gelingen wird, wird sich zeigen. Nicht zuletzt war das Symposium ein Ort der Begegnung für wesentliche Teile der bosnischen Intelligenz. Wenn Nenad Popović allerdings von einer „historischen Tagung“ sprach, muß man das wohl entweder für eine maßlose Übertreibung oder für Ironie halten.
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