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Die neue Freiheit der Schule: ein eigenes Profil

Bildungspolitische Innovation durch größere Entscheidungskompetenz / Die Schule soll als Gemeinschaft über ihr Personal und ihre Finanzen freier disponieren können / Pädagogische Gehalte einer Verwaltungsreform  ■ Von Sybille Volkholz

Bildungspolitische Diskussionen erfreuen sich selten großer Resonanz. Allenfalls gewalttätige Schüler können sich gesteigerter Aufmerksamkeit sicher sein. Ansonsten wird das Thema mit überforderten und jammernden LehrerInnen gleichgesetzt. Oder die Finanzminister entdecken, daß Schulen einfach zu teuer seien. Entsprechend lag in den letzten Jahren der Schwerpunkt sogenannter Reformen auf der Diskussion um die Länge der Schulzeit und die Pflichtstunden der Lehrkräfte.

Höheren pädagogischen Anforderungen an die Schule stehen zunehmend knappere Länderfinanzen gegenüber. Diesen Widerspruch zu lösen kommt der Quadratur des Kreises gleich. Die Lehrerschaft, noch in den siebziger Jahren Träger pädagogischer Reformen, ist in Ehren ergraut. Das Durchschnittsalter liegt in den alten Bundesländern um die Fünfzig – hier unterrichten Großeltern ihre Enkel. Woher aber soll die pädagogische Erneuerung kommen, wenn die Frischluftzufuhr ausreichender Neueinstellungen von jungen LehramtsabsolventInnen ausbleibt? Zudem sind heute Reformen nicht mehr – wie noch in den sechziger Jahren – durch staatliche Verordnung den Schulen einfach aufzudrücken.

Als eine Lösung aus diesem Dilemma werden in mehreren Bundesländern, in Hamburg, Bremen, Hessen (möglicherweise auch mal in Berlin!) den Schulen mehr Entscheidungskompetenzen übertragen, die vorher bei den Aufsichtsbehörden lagen. Wie in den Niederlanden erfolgreich erprobt, erweitert man die Schulfreiheit auf dem Wege der Verwaltungsreform: Schulen sollen mittels einer Globalsumme über die ihnen zur Verfügung gestellten Finanzen selbst entscheiden. Und sie sollen mehr Freiheit bei der pädagogischen Profilbildung erhalten, indem sie über die Stundentafel und ihre zeitliche Verteilung im Unterrichtsjahr selbst entscheiden.

Doch wo diese Vorschläge als Schulgesetzänderungen vorgelegt werden, beginnt ein scharfer Gegenwind zu blasen. Die GegnerInnen größerer Schulautonomie befürchten, daß der Staat die Verantwortung für die spärlicher fließenden Gelder den Schulen und den Lehrkräften gänzlich übertragen will. Trotzdem sollte die Produktivkraft, die in dieser Krise steckt, genutzt werden. Die Schule braucht eher mehr als weniger Geld, um ihren Auftrag besser erfüllen zu können. Nicht jede Mark ist dort, wo sie zur Zeit ausgegeben wird, unersetzlich. Wir leisten uns in der Schule Dienstleistungssysteme, die Kinder erziehen, als gäbe es zu Hause noch Dienstboten. Das Geld für Reinigung, kleinere Gartenbauarbeiten, Renovierungen könnten in der Schule für pädagogische Verbesserungen genutzt werden: Wenn diese Leistungen nur von Kindern und Jugendlichen, von Eltern und Lehrkräften selbst wahrgenommen würden! Dies dürfte auch zu einem sorgfältigeren Umgang mit der Einrichtung selbst führen. Voraussetzung wäre allerdings, daß die eingesparten Gelder auch in der Schule verbleiben.

Größere Entscheidungsbefugnisse werden aber auch für die inhaltliche Veränderung der Schule zu einem Lern- und Lebensort für Kinder und Jugendliche dringend benötigt. Die Lebensverhältnisse der Kinder ändern sich. Sie wachsen in kleiner werdenden Familien mit häufiger wechselnden Zusammensetzungen auf. Großstädte bieten zu wenig Betreuungseinrichtungen. Es fehlt an Spiel- und Aufenthaltsmöglichkeiten. Die Schule muß als Reaktion darauf längere Öffnungszeiten und mehr Möglichkeiten der Freizeitbetätigung anbieten. Sie muß in wachsendem Ausmaß Aufgaben unmittelbarer Sozialisation übernehmen. Kinder müssen das Leben in größeren Gruppen und die Bindung an Regeln mehr und mehr außerhalb der Familien lernen.

Zunehmend geringere Möglichkeiten von Primärerfahrungen, zunehmend mehr Informationsaufnahme durch andere Medien erfordern in der Schule veränderte Lernprozesse. Es ist zum Beispiel erheblich wichtiger geworden, daß die Schule Zeit für Konzentration zur Verfügung stellt. Die SchülerInnen müssen sich über einen längeren Zeitraum einen Gegenstand von verschiedenen Gesichtspunkten erarbeiten können – anstatt nur schnell Wissen zu konsumieren. Die beste Möglichkeit dazu bietet der projektorientierte Unterricht. Er ergänzt und ersetzt teilweise die an Fächern orientierte Stundentafel. Und der Unterricht kann so stärker auf die individuellen Voraussetzungen und Bedürfnisse der SchülerInnen ausgerichtet werden. Dafür ist notwendig, daß ihnen selbst und ihren Eltern ein größerer mitbestimmender Einfluß auf die innere und äußere Gestaltung der Schule zugestanden wird. Auf diese Weise bekäme das Thema einer organisatorischen Schulreform unversehens einen pädagogischen und emanzipatorischen Gehalt.

Denn größere Partizipation ist auch aus einem zweiten Grund wichtig: um den demokratischen Bildungsauftrag zu erfüllen. Demokratisierung erfordert einen veränderten Umgang der Beteiligten untereinander. Alle von außen kommenden Vorschriften, sei es in der Organisation des Unterrichts, den Methoden oder den Inhalten, beeinträchtigen das Schüler-Lehrer-Verhältnis. Mit dem Verweis auf den Rahmenlehrplan läßt sich Schülers Frage nach dem Sinn des Lehrstoffs nicht beantworten. Das wäre eine pädagogische Kapitulation. Zu demokratischer Verantwortlichkeit kann die Schule nur erziehen, wenn Erziehungs- und Bildungsprozesse in der Schule selbstverantwortlich entschieden werden.

Die Schule als Lerneinrichtung braucht neben der Freiheit der einzelnen LehrerIn ein pädagogisches Verständnis von sich selbst, eine Identität der gesamten Schule. Lehrkräfte haben gelernt, ihren eigenen Unterricht zu veranstalten. Aber sie vermögen nicht zu kooperieren. Dies führt zu einem arbeitsteilig zergliederten Erziehungsprozeß, der Jugendliche aus den verschiedenen Sichtweisen der Fächer beurteilt. Die Verantwortung für die gesamte Persönlichkeitsentwicklung des Jugendlichen rückt dabei allzu leicht aus dem Blickfeld.

Ein Selbstverständnis über das, was in der Schule pädagogisch erreicht werden soll, erfordert daher, daß sich alle am pädagogischen Prozeß Beteiligten Rechenschaft ablegen: Lehrer, Eltern, Schüler. Dazu können ganz verschiedene Entscheidungen gehören: Ob sich die Schule im großstädtischen Ballungsraum ein besonderes Grünprojekt als Umgebung schafft; ob sie für Eltern und Kinder zu einem interkulturellen Zentrum in der Nachbarschaft wird; ob sie eher ein ökologisch-naturwissenschaftliches oder ein kommunikativ- sprachliches Profil pflegen will. In der Schule soll entschieden werden, wie ein Teil der Lehrerstunden als Honorarmittel verwendet werden – so könnte man zum Beispiel Künstler, Sportler, Handwerker in die Schule holen. Das steigert die Attraktivität. Eine Schule ist um so besser, je lieber alle Beteiligten sie besuchen.

Das größere Ausmaß an Entscheidungsbefugnis führt nicht automatisch zur besseren Schule. Die Chance liegt darin, daß Diskussionen um pädagogische Prozesse zwischen den Beteiligten, SchülerInnen, Lehrkräften und Eltern, initiiert und verstärkt werden. Sich in der Schule die Frage nach einem eigenen Profil, nach inhaltlichen Schwerpunkten zu stellen, wird die Identifikation bei Lehrenden und Lernenden befördern. Wer sich mit seiner Schule identifiziert, wird auch wieder mehr Freude an diesem Lern- und Arbeitsort haben.

Die Autorin ist bildungspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Parlament

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