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Es dauerte fünfundzwanzig Minuten

■ Am 13. Februar 1945 wurde Dresden zerstört. Im Vorfeld des 50. Jahrestages ruft die Veranstaltungsreihe „AnStiftung“ zum Erinnern und Nachdenken auf

Anfang 1933 lebten in Dresden 4.675 Juden. Die Israelitische Religionsgemeinde der Stadt zählte 4.367 Mitglieder. Anfang 1945 lebten in der Stadt noch 110 Juden, die meisten in sogannten „Mischehen“. Am 12. Februar 1945 erhielten diese letzten Dresdner Juden den Befehl, sich am 16. Februar „mit Proviant für drei Tage“ im „Judenhaus“ an der Zeughausstraße zur Deportation in das KZ Theresienstadt einzufinden. Am nächsten Tag, 22.03 Uhr, flog eine Staffel der britischen Royal Air Force (RAF) den ersten Angriff auf die Stadt. Er dauerte 25 Minuten. Drei Stunden später folgte der zweite Angriff. Den dritten flogen amerikanische Geschwader in den Mittagsstunden des 14. Februar. 25.000 Menschen starben bei den Bombardements, Tausende suchten ihre Rettung in der Flucht.

„Vom Schicksal der Juden in Dresden 33/45“ war bisher nur wenig bekannt. Wichtige Dokumente sind beim Bombenangriff vernichtet worden. Der Historiker Wolfgang Marschner hat jetzt unter diesem Titel eine Studie veröffentlicht. Die Buchpremiere war eine der ersten Veranstaltungen der „Tage für Kultur und Kommunikation“ in Dresden. Initiiert wurden sie von mehreren Kulturinitiativen und Institutionen, die sich als „AnStiftung“ verstehen, als „Projekt gegen das Vergessen“ und „Initiative für Toleranz, Gerechtigkeit und Solidarität, für Engagement, individuelle Verantwortung und Zivilcourage, gegen Fremdenhaß, Gewalt und Krieg“.

Peter Grohmann kann es auch etwas einfacher sagen: „Wir sollten über der Trauer nicht das Einmischen vergessen.“ Als Kind habe er die Bombardierung Dresdens erlebt, jetzt ist der Stuttgarter in seine Geburtsstadt zurückgekehrt. Sein „Büro für ungewöhnliche Entwicklungen“ hat er mitgebracht, auch „diese ganzen Erfahrungen von Ostermarsch, Friedensbewegung, Kinderladen.“ Seine Unruhe eben und Kontakte zur halben Welt. In Dresden klapperte er gleich alle Kulturadressen ab. Dabei ließ er „auch nicht ein Fettnäpfchen aus“; die feinen Unterschiede zwischen abgehalfterten FDJ-Funktionären und bewährten Widerstandskämpfern in der örtlichen Szene mußte der Kabarettist und Schriftsteller erst erfahren. Jetzt koordiniert sein ungewöhnliches Büro die „AnStiftung“.

50 Jahre nach der Zerstörung Dresdens nun also rund 50 Veranstaltungen zum „Erinnern, Nachdenken, Einmischen“. Unterstützt wird das Projekt von der Friedrich- Ebert-Stiftung, der Hans-Böckler- Stiftung, der IG Metall und der Stiftung Weiterdenken. 300 KünstlerInnen aus 18 Ländern beteiligten sich an einem Plakatwettbewerb. Acht Plakate werden durch eine Jury ausgewählt, in der Lichtdruckwerkstatt des Dresdner Lichtdruckmuseums gedruckt und weltweit verbreitet. Ihre Idee, die Plakate vor der Frauenkirche zu kleben, dem Symbol für den Untergang des barocken Dresden, mußte „AnStiftung“ jedoch verwerfen. Im Rathaus der sächsischen Landeshauptstadt hieß es: „Erst mal wollen wir die Plakate sehen.“

Eine Gruppe DresdnerInnen fährt nach Auschwitz und spricht dort mit Überlebenden des Holocaust, Jugendliche begeben sich auf die Suche nach Spuren jüdischen Lebens in Dresden, Künstler aus Prag, Coventry, Terezin, Guernica beteiligten sich an einer Werkstatt unter dem Titel „Spuren in der Stadt“, deren Ergebnisse unter anderem auf dem Hauptbahnhof, im Kulturpalast und in Schaufenstern ausgestellt werden. „Dresden – das Antlitz Deutschlands“ ist ein dreiteiliger Vortrag von Ursula Preuß (Stuttgart) und Viktor Alexander Morawitz (Dresden) überschrieben, der nach Landschaft, Architektur und Inferno fragt, nach „Dresdens Zerstörung als Bild für Deutschlands inneren Zustand 1945“ (6./7./8.2., 19 Uhr, Museum für Stadtgeschichte).

Über „Dresden gestern, Deutschland heute, Europa morgen“ diskutieren Gäste aus Guernica, Prag, Stuttgart, Köln, Berlin und Warschau mit dem Publikum (10.2., 19.30 Uhr, Klubhaus Pentacon). Spannendster Termin dieser zwei Wochen um den 13. Februar dürfte das Symposium „Vom Leiden und Hoffen der Städte“ werden. Zur Eröffnung halten der Architekt Raimond Rehnicer (Sarajevo/Prag) und der Philosoph Frithjow Bergmann (Ann Arbor/ USA) Rede und Gegenrede, anschließend werden sich Foren und Arbeitsgruppen mit „Utopien, Zukunftsideen und Träumen von einer besseren Welt“ befassen (11.2., 11 bis 18 Uhr, Klubhaus Pentacon). Auf dem Abschlußpodium sitzen neben den beiden Professoren Bergmann und Rehnicer die Prager Filmautorin Esther Krumbachova, das Mitglied im Internationalen Kuratorium des Kreisauer Kreises, Janusz Witt aus Wroclaw und aus Guernica Juan Gutierrez vom Friedensforschungszentrum des Baskenlandes „Gernica Gogoratuz“ (12.2., 16 Uhr, Hygiene-Museum). Detlef Krell

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