: A Star is born
Ein Telefoninterview mit dem Weddinger Posträuber, der am 4. Februar sein eigenes Amt in Steglitz (Nr. 414) ausplünderte ■ von Jimmy Cooke
Am vergangenen Samstag verließ der 30jährige Harald P. – „Berlins gierigster Postbeamter“ (BZ), der von seinen Kunden jedoch als besonders freundlich bezeichnet wird („ganz anders als die anderen“) – sein Steglitzer Postamt als letzter. In zwei Taschen hatte er 800.000 Mark in bar sowie Briefmarken und Telefonkarten im Wert von 300.000 Mark. Zuerst fuhr er in seine Weddinger Wohnung, wo er den wertvollen Inhalt auf zwei Koffer verteilte, um sich dann in einem Café am Nettelbeckplatz mit seiner thailändischen Freundin Noy M. (26) zu treffen. Was die beiden dann taten, ist nicht bekannt. Seit Montag fahndet die Kripo auf der ganzen Welt nach ihnen, und die Post- Sprecher sind „erschüttert“. 1994 hatten sich die internen Postraubfälle in Berlin bereits verdoppelt, auf ungefähr 500, der Coup von Harald P. ist jedoch der bisher „dickste Hund“ seit dem Mauerfall und der Vereinigung von Ost- und Westpost. Die taz sprach mit dem Verbrecher in Chiang-Mai:
taz: Meinen Sie, in Nordthailand sicher zu sein?
Harald P.: Die Polizei ist in dieser Gegend besonders korrupt, das erleichtert manches. Dann ist auch die burmesische Grenze nicht weit.
Daheim ist Ihr Postraub auf große Medienresonanz gestoßen, was sagen Sie dazu?
Ich habe über 13 Jahre bei der Post gearbeitet. Seit der Wiedervereinigung werden immer mehr Ämter geschlossen und Leute entlassen. Im Osten wird der Frust an die Kunden weitergegeben. Das merkt jeder, der einmal eine Schalterhalle betreten hat. Seitdem auch noch die Privatisierung dazukommt, funktioniert überhaupt nichts mehr: weder bei der Telekom – endloses Warten auf einen Anschluß, falsche Abrechnungen, verschlampte Anträge – noch bei der Postbank – regelmäßig bricht der Zentralcomputer zusammen, die Bargeldautomaten sind ständig leer, die Briefzustellung wird immer dürftiger und die Leistungen teurer.
Der 1,1-Millionen-Raub – ein Fanal?
Nein, das Problem ist doch, daß all diese völlig überbezahlten Postmanager mit nichts anderem mehr beschäftigt sind, als Beziehungen und Fäden zu den großen Konzernen zu knüpfen, die sich die Filetstücke aus dem Postkuchen rausprivatisieren werden. Was meinen Sie, wer jetzt schon alles von den Postdirektionen bei SEL, AEG, Elpro AG, Siemens etc. beschäftigt ist – nur wegen seiner Postkontakte? Für uns aber, für den kleinen Schalterbeamten, gibt es nur eine Perspektive: in amerikanisierten Sklavenbetrieben à la United Parcel Service nämlich, wo man ähnlich schikaniert und entlohnt wird wie bei McDonald's oder Disneyland und genauso wenig angesehen ist.
Meinen Sie, daß auch die Telefonzellen-Explosionen in diesen Zusammenhang gehören?
Sehr wahrscheinlich, aber damit habe ich nichts zu tun. Ich finde das falsch, weil es Leute gefährden könnte. Mit einem Kundenauftrags-Fake der Post eine große Geldsumme abzugewinnen, finde ich dagegen viel eleganter.
Vom Netzwerk der Postler scheinen Sie nicht viel gehalten zu haben. Es heißt, sie hätten wenig Kontakte zu ihren Kollegen gehabt ...
Das ist nicht falsch. In der Weddinger Thai-Scene verkehren hauptsächlich so fremdsüchtige, vergrübelte Loser-Typen, die im öffentlichen Dienst arbeiten und irgendwann mal über Indien, Haschisch und Bangkog an eine Thailänderin geraten sind, die als geübte Privatdienstleisterin dann resolut und pragmatisch, also entscheidungsfreudig genug war oder ist, um die Chose am Laufen zu halten.
Mit seiner thailändischen Freundin in ihr Heimatland abzuhauen – ist das nicht vielleicht ein zu wenig ausgefeilter Fluchtweg?
Man geht doch keine Beziehungen ein, schon im Hinblick auf eine später eventuell notwendig werdende Flucht, wer tut denn so was? Zumal wenn sich das wie bei mir erst langsam zu einer regelrechten Doppelexistenz entwickelt hat, mein Privatleben und meine Arbeit im Postamt, wo man mich vor drei Wochen immerhin noch zum stellvertretenden Dienststellenleiter befördert hat.
Wir gratulieren. Da könnten Sie sich ja jetzt im Ausland ein eigenes Postamt aufbauen?
Sie werden lachen, wir wollen mit dem Geld eine kleine Bank eröffnen. Noys Mutter hat mal vor zwanzig Jahren bei einem betrügerischen Kreditgeber fast ihr ganzes Land verloren und ist dann ins Ausland gegangen. Sie hat jetzt einige gute Geschäftsideen entwickelt, wozu ihr bloß noch das Geld fehlt.
Also zieht es Sie doch eher ins Unternehmerlager als zu den Rächern der enterbten Postkunden?
Ja, ich habe absolut kein gewerkschaftliches Geschick, das muß ich zugeben.
Wir danken für das Gespräch
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