: Erschöpfter Inhalt
Weiblichkeit als imaginäre Fiktion: „Die Frauenrolle“ von Iwan Dychowitschny (Forum) ■ Von Oksana Bulgakowa
Es scheint, als ob in Rußland tatsächlich kein Geld mehr aufzutreiben ist, um Filme zu produzieren. Also wird recycelt: Das Filmarchiv tritt als Produzent auf und gibt alte Kopien zur Wiederaufbereitung her. Vor zwei Jahren lief im Forum erstmals solch ein recycelter Film („Gärten des Skorpions“) – der russische Filmhistoriker Oleg Kowalow hatte zwei alte Stoffe zu einer neuen Fabel umfunktioniert. Iwan Dychowitschny, ein in der Fiktion geübter Fabulierer, zeigte weit mehr Scheu angesichts überlieferter Filmreste: Seine Phantasie versagte ihm den Dienst total. Der Titel des Films ist mit seinem Inhalt identisch, d.h. der Inhalt erschöpft sich darin völlig. In 48 Minuten werden eben verschiedene Filmrollen aneinandergeschnitten, die russische Schauspielerinnen in 90 Jahren russisch-sowjetischer Filmgeschichte zu spielen hatten: Von der „Jugendstil“-Schönheit Vera Cholodnaja über die erste Traktoristin Marfa Lapkina und die stramme Stoßarbeiterin einer Ljubow Orlowa zur untreuen Kriegsbraut der Tauwetter-Ära (Tatjana Samojlowa) bis hin zur „kleinen Vera“.
Der einzige Effekt, den Dychowitschny aus dieser Montage herausholt, ist ein elementarer Kontrast: die melancholische Dame stirbt vor Liebe, das sowjetische Frauenmonster schießt um sich und tötet (den Feind und den Geliebten, falls er sich als Feind entpuppt). Die eine trägt Hut, die andere Gasmaske. Vor der Revolution lesen die Frauen Liebesbriefe, danach setzen sie sich ans Steuer – von Traktoren, Panzern, Mähdreschern. Im Schatten des Zaren tanzt man Tango, die Stalin-Mädchen marschieren. Ihre Körper sind kein Objekt der ästhetisierten Begierde, sondern Arbeits- und Tötungsmaschinen. Zu ihrem Liebhaber wird nicht der neurasthenische Dandy mit jener distinguierten Kokainblässe, auch nicht der sterbende Rowdy von Wladimir Majakowski, sondern der Steinerne Komtur (Stalin). Damit auch der letzte Zuschauer begreift, was Totalitarismus mit Frauen anstellt, schneidet Dychowitschny deutsche KZ-Aufseherinnen, BDM-Sportübungen und Weihnachten in Goebbels' Familie dazwischen.
Die weiblichen Visionen der russischen Konstruktivisten bleiben hingegen verschont: Die Schönheit von Mars, Aälita (der jungen Julia Solnzewa in den Kostümen von Alexandra Exter) und der exzentrische Star der zwanziger Jahre Alexandra Chochlowa (in den Kleidern von Warwara Stepanowa) begleiten mit ihren verwunderten Blicken die makabre Verwandlung der angebotenen Rollen. Flach und alles andere als virtuos wirkt dieses vermeintliche Filmessay. Das Bild der Weiblichkeit als imaginäre Fiktion, die der männlichen symbolischen Ordnung der Gesellschaft unterworfen ist, kann Dychowitschny durch diesen einzigen, sehr puren Kontrast nicht bewältigen – bestenfalls banalisieren. Er tritt auf als Verbraucher, der weder mit der eigenen (Film-)Geschichte noch mit ihren rhetorischen Figuren etwas anzufangen weiß.
Die Frau ist für ihn – als pragmatischer Regisseur – die Besetzung einer Filmrolle. Und das nicht als Projektionsfläche für Maskerade, gesuchte Identität, subversive Differenz, sondern als Gegenstand eines vertraglichen Abkommens.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen