piwik no script img

Berlin hat keine Sonne

■ Neue Siedlungen werden energietechnisch fehlgeplant / In den nächsten Jahren sollen 400.000 Wohnungen entstehen / Kaum Konzepte für energiesparendes Bauen

Bis heute fristet die Nutzung der Sonnenenergie für Warmwasser- und Stromerzeugung in Berlin ein Schattendasein. Ihr Anteil am Energieverbrauch der Stadt ist vernachlässigbar gering, nämlich kleiner als 0,05 Promille. Dieser Zustand ist nicht verwunderlich bei der geringen Zahl von rund 1.200 kleineren Kollektoranlagen für Warmwasserbereitung und etwa 150 Solarstromanlagen mit einer Gesamtfläche von 14.000 Quadratmetern.

Die Potentiale hingegen sind enorm: Mit den nutzbaren Dachflächen der Hauptstadt ließe sich ein Viertel des derzeitigen Stromverbrauchs oder zwei Drittel des heutigen Raumwärmebedarfs und ein Vielfaches des Warmwasserbedarfs per Strahlungskraft aus dem All decken.

Angesichts der inzwischen von jedem erfahrbaren Änderungen unseres Klimas, unter anderem hervorgerufen durch die Kohlendioxid-Emissionen der Gas-, Öl- und Kohlekraftwerke sowie der Hausheizungen, ist eine Wende hin zur verstärkten Nutzung der erneuerbaren Energien dringend geboten.

Man weiß, daß mehr als ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs in Gebäuden für die Raumheizung und die Warmwasserbereitung benötigt wird. Maßnahmen, diesen Verbrauch zu senken und mit emissionsfreier Sonnenenergie zu decken, sind demzufolge sinnvoll. Gerade in Berlin böte sich eine einmalige Chance. Immerhin sollen hier in den nächsten fünfzehn Jahren bis zu 400.000 neue Wohnungen gebaut werden.

Durch die Nutzung der Solarenergie und die sogenannte Niedrigenergiehaus-Bauweise können der Energieverbrauch und damit auch die Kohlendioxid-Emissionen, verglichen mit heutiger konventioneller Bauweise, um 50 bis 80 Prozent gesenkt werden. Niedrigenergie-Bauweise bedeutet dabei, daß ohne gravierende Mehrkosten der Heizölverbrauch für Warmwasser und Heizung bei einem freistehenden Einfamilienhaus mit 100 Quadratmeter Wohnfläche pro Jahr nur etwa 800 Liter beträgt – ein konventionell gebautes Haus verbraucht mindestens die doppelte Menge.

Über diese Einsparmöglichkeiten hinaus bietet sich in den Neubaugebieten die große Chance, bis zu 80 Prozent der für Warmwasser und Heizung benötigten Energie durch Solarenergie bereitzustellen. Die möglichst in Richtung Süden orientierten Dachflächen werden mit Kollektoren belegt, die im Sommer einen großen unterirdischen Speicher aufheizen. Im Winter wird die so gewonnene Wärme in die Wohnungen gepumpt. Diese Technik, in Dänemark und Schweden als solare Nahwärmenetze seit langem erprobt, reduziert den Verbrauch von Öl, Kohle oder Gas drastisch. Hierzu sind Kollektorflächen von mehreren tausend Quadratmetern und Speicher mit mehreren zehntausend Kubikmeter Inhalt notwendig.

Der Berliner Senat jedoch tut für die Einrichtung solarer Nahwärmenetze viel zuwenig. So lassen es der Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) und der Umweltsenator Volker Hassemer (CDU) zu, daß beispielsweise im neuen Siedlungsgebiet Karow-Nord, wo 5.200 Wohnungen entstehen sollen, Gebäude errichtet werden, deren Energiebedarf für Heizung und Warmwasserbereitung bei mehr als dem Doppelten einer Niedrigenergiehaus-Bauweise liegt.

In Flächennutzungs- und Bebauungsplänen werden hinsichtlich der Dachorientierung kaum die Anforderungen an eine eventuelle zukünftige Solarenergienutzung erfüllt, wie zum Beispiel bei der im Süden Berlins geplanten Neubebauung der direkt an der Grenze zu Brandenburg gelegenen Rudower Felder mit 2.200 Wohneinheiten. Bauträger und Architekten berücksichtigen bei der Einzelplanung von Dachformen kaum die Belange der Sonnenenergienutzung – Giebel und Erker erlauben nämlich nur eingeschränkt die Installation von Sonnenkollektoren.

Damit werden durch eine verfehlte Politik die Weichen für die nächsten Jahrzehnte so gestellt, daß nur mit hohen Kosten eine nachträgliche Umrüstung auf Solarkollektoren möglich sein wird.

Zwar behauptet die Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, daß „Berlin in Deutschland beim ökologischen Städtebau ganz vorn“ stehe. Doch offenbar gilt dies nicht für die Nutzung von Sonnenenergie: Bis auf ein mehrgeschossiges Wohnhaus im Bezirk Tiergarten und zwei kleinere Reihenhaussiedlungen in den Bezirken Spandau und Zehlendorf – entstanden in den letzten sieben Jahren – hat Berlin in bezug auf Niedrigenergiehäuser mit Sonnenenergienutzung nichts vorzuweisen. Unter dem Mantel der Kostenminimierung im Wohnungsbau werden zukunftsweisende Projekte nicht verwirklicht, ein an langfristigen Zielen orientiertes Denken und Handeln findet kaum statt.

Einzig bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz sind Aktivitäten zu erkennen, die Solarenergienutzung zu fördern. Zum Beispiel enthält das Energiekonzept für Berlin, das im Dezember vergangenen Jahres vom Senat beschlossen wurde, einen sogenannten Aktionsplan „Solarenergie und neue Technologien zur Nutzung regenerativer Energie“, in dem unter anderem für ein ausgewähltes Neubaugebiet – warum nicht für viele Gebiete? – eine solare Nahwärmelösung angestrebt wird.

Auch bei der Erzeugung von Solarstrom ist Berlin nicht sonderlich helle. Das größte Hemmnis bei der Entscheidung für eine solche Anlage liegt in der völlig unzureichenden Vergütung der in das Stromnetz eingespeisten solar erzeugten Kilowattstunden. Das Berliner Stromversorgungsunternehmen Bewag zahlt derzeit dem Solarstromanlagen-Betreiber pro eingespeiste Kilowattstunde lediglich das gesetzliche Minimum von siebzehn Pfennig – einen Betrag, der bekanntermaßen weit unter den für die Erzeugung notwendigen Kosten von bis zu zwei Mark pro Kilowattstunde liegt.

Deshalb wird schon seit geraumer Zeit die sogenannte kostendeckende Einspeisevergütung gefordert, das heißt, für jede eingespeiste Kilowattstunde würden diese zwei Mark vom Stromunternehmen gezahlt. Die dem Stromunternehmen entstehenden Mehrkosten legt man bei diesem Modell auf alle Stromkunden um, was zu einer kaum merkbaren Strompreiserhöhung führt. Mit einem Prozent der Berliner Stromerlöse von 33 Millionen Mark könnten – bei heutigen Solaranlagenpreisen – jährlich mindestens 17 Millionen Kilowattstunden umweltfreundlicher Strom kostendeckend vergütet werden.

Insgesamt bedeutet kostendeckende Einspeisevergütung eine sehr viel effektivere Markteinführungsstrategie für die Solarstromerzeugung als bei Förderung mittels öffentlicher Zuschüsse für den Anlagenbau. Eine derart stimulierte Nachfrage mit stetig wachsendem Markt würde eine entscheidende Kostendegression der Anlagen möglich machen. Es entstünde ein hohes jährliches Wachstum mit zukunftssicheren Arbeitsplätzen, wie es die Entwicklung der Windenergiebranche beispielhaft zeigt.

Zwar hatte das Berliner Abgeordnetenhaus den Senat einstimmig aufgefordert, die kostendeckende Vergütung von Solarstrom in den Verhandlungen zur Umsetzung des im Januar in Kraft getretenen Konzessionsvertrages mit der Bewag zu vereinbaren. Doch was wurde daraus? Die Bewag stellte im Gegenzug mit Rückendeckung der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie ein dreijähriges „Förderprogramm Erneuerbare Energiequellen“ (FEE) vor, das rund 400.000 Mark pro Jahr an Zuschüssen gewähren will – ein Achtzigstel der vom Berliner Abgeordnetenhaus geforderten Summe. Dem Auftrag der Volksvertretung wurde damit nicht entsprochen, und die Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie hat sich mit diesem Vorgehen selbst disqualifiziert.

Zu guter Letzt wurde Anfang des Jahres auch noch die ebenfalls einst von der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie geförderte Energiesparberatung im Wohnungsbereich ersatzlos gestrichen. Durch derartige Aktionen werden falsche Signale gesetzt und Wege zur Energieeinsparung, Sonnenenergienutzung und Minderung der Kohlendioxid- Emissionen verbaut.

Der Berliner Senat als Gastgeber der 1. Vertragsstaatenkonferenz der Vereinten Nationen zur Klimarahmenkonvention hat damit der Stadt einen Bärendienst erwiesen und den deutlichen Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit vertieft. Uwe Hartmann/

Rainer Wüst/Bernard Weyres

Kontakt: Beratungsstelle Solarenergie der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie, Hirschberger Straße 2, 10317 Berlin, Tel. 030/ 5578191, Fax 030/5536822

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen