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Blutiger Sandkasten

■ „Moving the Mountain“: Michael Apteds schmerzerfüllter Film über die chinesischen Studentenunruhen (Forum)

Er sei nicht an der Meinung von Politikern und Experten interessiert gewesen, sondern an Charakteren, so Michael Apted auf der Pressekonferenz zu seinem Dokumentarfilm „Moving The Mountain“. Die ihm gestellte Frage bezog sich auf den extrem emotionalen Grundton seines Films über die chinesischen Studentenproteste und ihre Niederschlagung auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Juni 1989. Apted erarbeitete sich das Thema seines Films fast zufällig. Er war auf ein Buch des Studentenführers Li Lu gestoßen; Trudie Styler, Stings Ehefrau, gefiel Apteds Idee, sie produzierte den Film.

Li Lu gehörte nach dem Massaker zu den meistgesuchten Regimegegnern. Er lebt heute in den USA, wo er „in Erwartung seiner Rückkehr in ein demokratisches China“ Wirtschaft und Jura studiert. Apted macht Li Lu zum Führer durch die letzten dreißig Jahre chinesischer Geschichte. Lu wurde 1966, einen Monat vor Beginn der Kulturrevolution, in einer „unerwünschten“ Familie geboren. Seine Kindheit bei Pflegeeltern und in Waisenhäusern hat der Regisseur in Taiwan mit Spielszenen nachgestellt. Sie bilden, zusammen mit Archivmaterial und Interviews mit weiteren in die USA exilierten Studentenführern, ein Gerüst von Fakten, das Apted mit – von den Erzählern durchlittenem, von den Zuschauern nachempfundenem – Schmerz füllen läßt.

„Moving the Mountain“ ist ein Schrei – tragisch, pathetisch, subjektiv. Und dabei professionell, mit kurzen Schnitten inszeniert: Geschichte als Videoclip – hier eine einleuchtende Sache.

Li Lus Leben ist einer der roten Fäden, an den sich Schicksale anketten. Um die unkalkulierbaren, vor allem aber unsühnbaren Folgen eigener politischer Berufung geht es den Ex-Studentenführern, wenn sie sich 1993 in einem Restaurant in New York versammeln. Weinend und mit erstickten Stimmen berichten sie, daß man doch nur einen kritischen Dialog mit der chinesischen Führung angestrebt hatte. Und dann kostete ihr Tun Tausende Unbekannte, Freunde und Familienmitglieder das Leben. Die Verzweiflung einer Chinesin ist erschütternd. 1993, um Jahrzehnte gealtert, resümiert sie, sie selbst habe – gegen ihr Ethos, aber indirekt durch ihre systemkritischen Aktivitäten – „getötet“. Regisseur Apted macht das nicht zur alleinigen Botschaft des Films. Er stellt den Rückzug vollkommen gleichberechtigt neben verschiedene biographische Neuansätze, die den Kampf um eine chinesische Demokratie aus dem Exil via Radio oder auf Kongressen fortführen. Die Vorwürfe der Verhafteten gegenüber den Exilierten: „Wer China ändern will, muß in China bleiben.“ Die Geschichte – ein blutiger Sandkasten. Anke Westphal

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