: Geübt im Krieg der starken Worte
Japan will in diesem Jahr eine Million Autos in die Europäische Union exportieren / Doch das Handelsdefizit Europas gegenüber Japan ist in der letzten Zeit gesunken ■ Aus Tokio Georg Blume
Beziehungen zwischen zwei so großen okönomischen Bollwerken wie Japan und der Europäischen Union ändern sich nur langsam – vollzieht sich eines Tages aber doch ein Wandel, merkt es die Öffentlichkeit nicht, weil sich die Protagonisten so auf ihre Argumente festgelegt haben, daß es gar nicht mehr in ihrem Interesse liegt, den Wandel – und sei er auch noch so willkommen – der Öffentlichkeit verständlich zu machen. Tatsächlich haben sich die Handelsbeziehungen zwischen Japan und Europa während der letzten Jahre verbessert. Die europäischen Exporte nach Japan sind im letzten Jahr rasant angestiegen. Der japanische Tourismus in Europa boomt. Viele europäische Unternehmen erkennen in Japan heute ihre Brücke zu den den neuen Märkten Asiens. Und dennoch: Zwischen Tokio und Brüssel dominiert weiter die Rhetorik der Handelskrieger.
Gestern war es wieder soweit: Wie zu Beginn eines jeden Jahres, wenn zwischen Japan und Europa die Gespräche um Autoexportquoten in Gang kommen, mußte das Wirtschaftsministerium MITI Flagge zeigen. Eine Million Autos, fast 25 Prozent mehr als im Vorjahr, wolle man 1995 in die EG exportieren. Man stelle sich auf schwierige Verhandlungen mit dem EG-Beauftragten ein, der noch in dieser Woche in Tokio eintreffe, sagte der MITI-Sprecher. Dramatischer ließen sich die routinemäßigen Gespräche kaum ankündigen. Das gewöhnlich eher zurückhaltende Wirtschaftsblatt Nihon Keizai machte prompt eine Titelzeile daraus. Niemand im MITI will sich vorwerfen lassen, für die Autoindustrie nicht ausreichend aufgetrumpft zu haben. Aber wer erinnert sich in Europa schon daran, daß bereits 1990 1,23 Millionen japanische Autos in die EG exportiert wurden – also fast ein Viertel mehr als die Tokioter Regierung jetzt von Brüssel fordert?
Entsprechend wichtigtuerisch antwortete gestern die EG – nämlich zunächst gar nicht. Der Vorschlag des MITI bedürfe weiterer interner Erörterungen, hieß es in der EG-Botschaft in Tokio. In Brüssel seien die zuständigen Verhandlungsführer bereits nach Tokio abgereist und könnten keine Stellung beziehen. Auch so züchtet man den Handelskrieg. Denn nachdem die maximale japanische Exportquote für 1994 auf 993.000 Autos festgelegt worden war, tatsächlich aber nur 818.000 Stück erreichte, nahm sich der MITI-Vorschlag eher harmlos aus. Eine rasche Entwarnung von seiten eines EG-Diplomaten hätte den Quotenstreit dahin verbannt, wo er hingehört: auf die Verhandlungsebene der Experten. Daß das nicht geschah, ist dennoch kein Zufall: Denn die Handelsrhetorik ist in der Brüsseler Kommission genauso gut einstudiert wie im MITI in Tokio. Wozu gibt es schließlich eine neue EG-Kommissarin Edith Cresson, von der doch alle wissen, daß sie Japaner nicht von Ameisen unterscheiden kann?
Das aber spielt keine Rolle, denn Fronten gehören schließlich in die Politik. Edith Cresson am vergangenen Donnerstag: „Europa wird kulturell und industriell durch die Softwareprogramme von Nintendo und Microsoft ebenso bedroht wie von amerikanischen Fernsehserien.“ Vielleicht sollten beide Seiten über die Verträglichkeit japanischer Computerspiele für europäische Kids verhandeln – bis diese für die Handelsliberalisierung auf die Straße gehen. Das wäre dann einmal eine neue, vielleicht etwas versöhnlichere Front.
Tatsächlich gibt es Anlaß genug, dem neuen deutschen EG-Botschafter in Japan, Jörn Keck, recht zu geben, der bei seiner ersten Rede in der vergangenen Woche die allgemein guten Handelsbeziehungen zwischen Japan und der EU pries, die sich „mehr in einer rationalen als emotionalen Art“ entwickelten. Damit meinte Keck vor allem das seit zwei Jahren sinkende europäische Handelsdefizit mit Japan, das allein 1994 um 16 Prozent auf 34 Milliarden Mark fiel.
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