: Gottfried Benn in der Prignitz
■ Autoren aufs Land bringen: Das Brandenburgische Literaturbüro in Potsdam
Kein soziales Förderwerk für AutorInnen, sondern eine Einrichtung für LeserInnen will das Brandenburgische Literaturbüro mit Sitz in Potsdam sein. Träger der Einrichtung ist der Brandenburgische Literaturverein, der alle paar Monate neu Fördermittel beim Land beantragt. GeschäftsführerInnen des im Mai vergangenen Jahres nach westdeutschem Vorbild gegründeten Literaturbüros sind die Schriftstellerin Sigrid Grabner und der Germanist Hendrik Röder.
taz: Nur ein paar Kilometer von hier residiert in Wannsee das Literarische Colloquium. In Berlin gibt es außerdem das Literaturhaus, die literaturWERKstatt und das Literaturforum im Brecht- Haus. Kommt es da nicht zu Überschneidungen?
Grabner: Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt im Land Brandenburg. Was wir in Potsdam machen, geschieht eigentlich nur nebenbei. Veranstaltungen auf dem Land zu organisieren ist wesentlich schwieriger. Auch die Autoren sind nicht so leicht dorthin zu bekommen. Die letzten Monate haben wir genutzt, um den Kontakt zu Bibliotheken, Schulen, Heimatmuseen und Literaturvereinen herzustellen und haben dabei fast alle Landstriche erfaßt – Prignitz, Uckermark, Fläming, Lausitz.
Röder: Unsere Partner sind zumeist Bibliothekare und Buchhändler, die von sich aus literarische Veranstaltungen organisieren und dabei von uns unterstützt werden. Wir sind ihnen behilflich, wenn es zum Beispiel um die Vermittlung von Autoren zu einer Lesung geht. Nach Möglichkeit beteiligen wir uns auch an der Finanzierung der Veranstaltung, indem wir etwa das Autorenhonorar zahlen. Es geht aber nicht vorrangig darum, den Autoren Lesemöglichkeiten zu verschaffen, sondern auf die Wünsche der Leser zu reagieren.
Gibt es auch Interesse an Schriftstellern, die zu DDR-Zeiten keine Chance hatten oder aus dem Westen kommen?
Grabner: Was die Interessen betrifft, hat sich nicht viel geändert. Gefragt sind vor allem solche Autoren, die schon von früher bekannt waren: Walter Flegel, Gisela Steineckert und Gisela Heller waren schon überall. Es gehört zu unseren Aufgaben, darüber zu informieren, welche Autoren es gibt und worüber sie schreiben, um auch einmal Alternativen anbieten zu können. Bei Autoren aus dem Westen haben wir bisher Zurückhaltung im Publikum festgestellt.
Röder: Es geht auch darum, ein Monopol zu brechen. Leute wie Walter Flegel, ein Militärschriftsteller und ehemals Oberstleutnant der NVA, waren seit Jahrzehnten gerade in den ländlichen Gebieten mit Lesungen präsent. Jetzt sollen andere Autoren eine Chance bekommen. Wolfgang Spillner hat in Milow gelesen und Gotthold Erler, Herausgeber der Fontane-Tagebücher bei Aufbau, in Luckenwalde. Vor kurzem ist es uns gelungen, Adolf Endler für eine Lesung in Peitz zu gewinnen – immerhin waren mehr als 40 Leute gekommen. Wir beschränken uns aber nicht darauf, hier oder da einmal eine Lesung zu sponsern, sondern versuchen, einen programmatischen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Veranstaltungen herzustellen. Sonst wären wir ja nur eine kommunale Einrichtung, die Fördermittel verteilt.
Wir veranstalten auch szenische Lesungen. Dieses Jahr wollen wir versuchen, die „Körpertexte“ von Jan Faktor als eine solche Vorlage zu nutzen.
Grabner: Der Frauenliteratur- Sommer ist auch solch ein Vorhaben, mit dem wir inhaltliche Akzente setzen wollen. In diesem Sommer soll die erste von insgesamt zehn Lesungen zum Thema „Schreiben Frauen anders?“ im Schloß Branitz stattfinden.
Welches Publikum geht zu den Lesungen?
Röder: Das ist ganz unterschiedlich. Bei der Endler-Lesung in Peitz waren zwar viele Leute gekommen, aber die meisten hörten nur mit versteinerter Miene zu, als Endler aus seinem Buch über den Alltag in der DDR las. Oft sind wir auf die Hinweise der Veranstalter vor Ort angewiesen. Wenn eine Bibliothekarin sagt, daß sie vor allem mit Kindern zu tun hat, dann versuchen wir natürlich, uns darauf einzustellen – etwa, indem wir einen Kinderbuchautor einladen oder Schauspieler vermitteln, die Texte für Kinder spielen.
Grabner: Die Kinder kommen auch durch die Schule, wo es sogenannte Literaturtage gibt, zu den Veranstaltungen.
Die bekommen dafür frei?
Röder: Das versuchen wir mit den Direktoren auszuhandeln. Dann sind die Kinder da, die können nicht wegrennen und hören zu. Es gibt auch andere Veranstaltungen, an denen wir uns mit unseren Angeboten beteiligen, zum Beispiel den „Prignitz-Sommer“. Das ist ein Festival, das mittlerweile schon etabliert ist – mit Musik, bildender Kunst, und wir wollen uns für den literarischen Teil engagieren. Im letzten Jahr ging es vor allem um Gottfried Benn, der aus der Westprignitz stammt. In diesem Jahr soll ein Symposion über Hebbel stattfinden.
Bleibt Potsdam gänzlich ausgespart im Programm des Literaturbüros?
Röder: Nein. Für dieses Jahr haben wir uns eine Essayreihe einfallen lassen, für die wir Leute wie Henryk M. Broder, Gabriele Stötzer, Cora Stephan und Joachim Fest gewinnen konnten. Gesponsert wird das vom ORB. Außerdem veranstalten wir gemeinsam mit dem VS eine Lesung mit dem jungen polnischen Autor Piotr Szewé. Zu den größeren Vorhaben, die in Vorbereitung sind, gehört eine Ausstellung über den Lyriker Peter Huchel, die im Januar 1996 in Potsdam eröffnet werden soll und dann durch verschiedene Städte in Brandenburg und nach Westdeutschland wandern wird.
Das Literaturbüro ist keine feste Institution, sondern hat selbst nur Projektcharakter.
Röder: Es gab Pläne, das Literaturbüro zu institutionalisieren. Das hätte natürlich den Vorteil der finanziellen Sicherheit, aber ich befürchte, daß sich gleichzeitig der Verwaltungsaufwand vergrößern würde. Vielleicht sind wir ja so, wie wir heute arbeiten, flexibler. Interview: Peter Walther
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen