: „Wahrheit aufhellen“
■ Die Bundesjustizministerin ist entschieden gegen ein Schlußstrichgesetz
Berlin (taz) – Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat sich eindeutig gegen einen Schlußstrich unter die juristische Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit ausgesprochen. Die Ministerin räumte am Dienstag abend bei einer Veranstaltung der Friedrich-Naumann- Stiftung in Berlin zwar eine weit verbreitete Unzufriedenheit mit den „mangelnden Erfolgen“ bei der Verfolgung von DDR-Unrecht ein. Die Aufgabe eines Strafanspruchs würde aber „sofort eine generelle Schlußstrichdebatte“ lostreten.
Eine Amnestie widerspricht nach Auffassung der Ministerin nicht nur den Interessen der Opfer des DDR-Regimes. Eine solche Regelung könnte auch das Vertrauen der ehemaligen DDR-BürgerInnen in die Gerechtigkeit der Strafverfolgung erschüttern. Leutheusser-Schnarrenberger erinnerte an die Auseinandersetzung bei der juristischen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen. So sei schon 1952 im Bundestag über einen „generellen Schlußstrich“ debattiert worden. Damals wie heute sei eine solche Forderung nach Amnestie aber zurückgewiesen worden.
Gleichzeitig sprach sich die Ministerin aber dagegen aus, die Verjährungsfristen für sogenannte Bagatelldelikte zu verlängern. Wenn der Gesetzgeber nicht tätig wird, endet mit Ablauf des Jahres der gesetzlich geregelte Strafanspruch für „minderschwere Straftaten“.
Der Direktor der Gauck-Behörde, Hans-Jörg Geiger, erklärte bei der gleichen Veranstaltung, die justizielle Aufarbeitung bringe eine „wesentliche Aufhellung der Wahrheit“. Die Kritik, die Behörden würden die Strafverfolgung mit „Übereifer“ betreiben, wies Geiger zurück. So seien in Berlin seit dem Fall der Mauer rund 5.800 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. 5.500 dieser Ermittlungen seien eingestellt worden – von einer „blinden Siegerjustiz“ könne also keine Rede sein. Geiger regte an, für die Aufarbeitung auch „die Akten der westdeutschen Seite zu öffnen, die sich mit der DDR befassen“.
Die Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe erklärte, „sehr froh“ zu sein, daß Leutheusser-Schnarrenberger sich so eindeutig gegen ein „Schlußstrichgesetz“ ausgesprochen habe. Im Gegensatz zur Bundesjustizministerin forderte sie aber, daß Bagatelldelikte nicht zum Jahresende verjähren dürften. Diese seien oft Bestandteil von langer Hand geplanter Zersetzungsmaßnahmen der Staatssicherheit gewesen.
Keine Alternative zur Drohung mit juristischen Maßnahmen sah auch der Schriftsteller Lutz Rathenow. Es gehe bei der Aufarbeitung der Vergangenheit um eine „Selbstvergewisserung, was die DDR war“. Rathenow setzte sich allerdings für milde Strafen ein. Er vertrete die Haltung, „die Ermittlung ist alles, die Strafe ist nichts“. Wolfgang Gast
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