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■ Wie steuert man VernetzungAb heute tagen Vertreter der großen Industrienationen, um sich auf die kommende "Informationsgesellschaft" vorzubereiten. Es geht um Datenschutz, Beseitigung staatlicher Hindernisse und Normenvereinheitlichung..

Ab heute tagen Vertreter der großen Industrienationen, um sich auf die kommende „Informationsgesellschaft“ vorzubereiten. Es geht um Datenschutz, Beseitigung staatlicher Hindernisse und Normenvereinheitlichung. Und um die Frage:

Wie steuert man Vernetzung?

Alles wird ganz groß und wichtig: Der Vizepräsident der Vereinigten Staaten, Al Gore, wird der Veranstaltung den nötigen Glanz verleihen. Die Europäische Kommission bläst mit dem Gipfeltreffen der sieben führenden Industrienationen zum Aufbruch in die globale Informationsgesellschaft – aber noch müssen die PolitikerInnen selbst anreisen, noch konferieren sie nicht per Video, noch schleppen sie kiloschwere Aktenköfferchen, und wenn sie klug sind, bringen sie für ihren Laptop den richtigen Stecker mit: Denn in Brüssel gelten da andere Normen als in Washington oder Bonn.

Ja, alles wird ganz groß und wichtig: Vorschläge für den Fortschritt gibt's genug, was fehlt, ist eine Vorstellung, wie die „Informationsgesellschaft“ eigentlich aussehen soll.

Sicher ist nur, daß Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt, der in Brüssel den Standort Deutschland vertreten wird, revolutionären Optimismus verbreiten wird. Es gehe um neue Arbeitsplätze, um Chancen, die nicht verspielt werden dürften. Kleiner hat's auch der zuständige EU-Kommissar Martin Bangemann nicht. Für ihn wird an diesem Wochenende die „dritte Industrierevolution“ eingeläutet.

Bescheidener werden die Herren erst, wenn es um konkrete Beschlüsse geht. Die Kommission will elf innovative Projekte vorlegen. Da geht es um die internationale Vernetzung von Bibliotheken mit modernsten Datenleitungen, um die Entwicklung von neuen Computerprogrammen zur Steuerung der Datenströme oder um ein Verkehrsleitsystem für Schiffe.

Einige der Projekte existieren schon irgendwo auf der Welt und sollen den anderen zur Nachahmung empfohlen werden, andere hat sich die Kommission in Zusammenarbeit mit privaten Dienstleitungskonzernen wie „Compuserve“ ausgedacht. In jedem Fall sollen die Projekte den Startimpuls geben für den weitgehend privat finanzierten Aufbau weltweiter Datennetze.

Wieviel öffentliches Geld in diese Projekte gesteckt werden soll, wird allerdings nicht an diesem Wochenende, sondern irgendwann später entschieden.

An diesem Wochenende wird in erster Linie signalisiert, daß die Industrieländer jetzt die Ärmel hochkrempeln. Denn bisher laufen die Bemühungen in den drei Wirtschaftsblöcken Amerika, Europa und Japan noch unkoordiniert nebeneinander her. In Europa hat sich Industriekommissar Bangemann darum zum Schrittmacher der Informationsgesellschaft erklärt. Sein Konzept beruht in erster Linie auf der Idee, die Zusammenarbeit der privaten Informationskonzerne zu organisieren und die staatlichen Hindernisse aus dem Weg zu räumen.

Wenn bei Telefon- und Datenleitungen erst einmal Wettbewerb herrscht, dann, so hofft Bangemann, werden sich die Konkurrenten mit dem Aufbau der Netze überschlagen, und dann werden auch die privaten Anbieter von Fernsehkanälen, Video-on-Demand, Homeshopping und vor allem berufsbezogenen Anwendungsmöglichkeiten wie Fernmedizin und Teleworking aus dem Boden schießen. Das Ganze wird dann noch mit ein paar Milliarden Mark an Forschungsgeldern garniert, erstens damit es schneller geht und zweitens weil das die einzige Möglichkeit staatlicher Steuerung ist, die sich Liberale wie Bangemann oder Rexrodt vorstellen können. Aber dafür ist ja so ein Gipfel auch da, daß er die Regierungen ermuntert, ihre Forschungsgelder stärker als bisher in Richtung Informationstechnologien umzuleiten.

Mit der für 1998 beschlossenen Aufhebung der Telekom-Monopole in der Europäischen Union ist nach Ansicht der Kommission der wichtigste Schritt schon gemacht. Aber ungeklärt sind Fragen wie Datenschutz, Urheberrechte und die Vereinheitlichung der Netzzugänge – damit man nur einen Stecker für seinen Laptop braucht. Da wird dann im Abschlußdokument auf die Notwendigkeit einheitlicher Normen hingewiesen werden, und es wird eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. So wie es überhaupt zu den wichtigsten Ergebnissen von solchen Großtreffen gehört, daß danach ein paar Arbeitsgruppen übrigbleiben.

Auch um Datenschutz und Urheberrechte werden sie sich kümmern müssen. Denn welches Unternehmen wird in einem fremden Land investieren, wenn es befürchten muß, daß seine Daten und seine Software als Raubkopie an der nächsten Straßenecke verdealt werden? Der Schutz von Daten und von geistigem Eigentum wird deshalb in den Schlußprinzipien so formuliert werden, daß er künftig als Aufnahmebedingung für die Länder der Dritten Welt verstanden werden kann: Nur wer sie akzeptiert, bekommt Zutritt zur Informationsgesellschaft.

Der immer wieder zitierte Anspruch, daß die Informationsgesellschaft für alle zugänglich sein muß, gehört zu den hehren Prinzipien, an denen die Zweifler ansetzen. Das europäische Modell der neuen Welt beruht im wesentlichen auf dem strikten Vorrang der privaten Investoren. Doch die haben wenig Lust, beispielsweise die hohen Kosten für flächendeckende Netzzugänge aufzubringen. Lukrativ sind leistungsstarke Datenleitungen zwischen Großkunden. Auch Datenbanken und andere Dienstleister schielen in erster Linie auf die Konzerne.

Noch bedenklicher aber ist, daß die gesellschaftlichen Auswirkungen bisher kaum in Betracht gezogen wurden. Die Telearbeit etwa, das Arbeiten zu Hause am Computer, der über die Datenleine mit der Firma verbunden ist, wird die Arbeitsbeziehungen durcheinanderwirbeln. An die Stelle der Arbeitnehmerbeziehungen treten Verträge zwischen Großfirmen und abhängigen Selbständigen ohne soziale Absicherung. Der grüne Europaabgeordnete Frieder-Otto Wolf kritisiert, daß die EU Gefahr läuft, die wirklichen Chancen zu verspielen. Im Gegensatz zu bisherigen Technologiereformen biete die Informationsgesellschaft die Möglichkeit eines wirklich demokratischen Ansatzes. Telefonanschlüsse sind erschwinglich, doch das Datenangebot müsse auch für alle erreichbar sein. Und die Gesellschaft muß vorbereitet werden: „Wir brauchen eine Bildungsinitiative, die parallel zum Ausbau der neuen Technologien läuft, nicht erst hinterher.“ Die Grünen sind nicht mehr die Maschinenstürmer, sie nutzen die bestehenden Daten- und Informationsnetze sogar mehr als alle anderen Fraktionen im Europaparlament. „Aber der Prozeß darf nicht wild ablaufen, er muß gesteuert werden.“

Das Problem hat auch die Kommission erkannt. Zu den elf Projekten gehört auch ein etwas schmalbrüstiges Ausbildungsprogramm. Außerdem will Bangemann auf dem G-7-Treffen eine Beratergruppe für die soziokulturellen Auswirkungen ins Leben rufen. Aber es drängt sich der Verdacht auf, daß diese Gruppe vor allem Akzeptanz für die arbeitsplatzraubenden Umwälzungen schaffen soll.

Das Problem ist die Reihenfolge: Zuerst werden die Voraussetzungen geschaffen, danach wird über die Folgen diskutiert. Doch wenn sich die wirtschaftlichen Interessengruppen erst einmal formiert haben, dann sind die Spielregeln kaum noch zu verändern. Alois Berger, Brüssel

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