: Bomben töten, ohne zu unterscheiden
■ betr.: „Fünfzig Jahre Dresden“ von Götz Aly, taz vom 13. 2. 95
„Den Angriff, den hab' ich bei meinen Eltern mitgemacht. Am Sonntag haben wir die Wäsche eingeweicht. Ich hab' mir Montag freigenommen, daß ich meiner Mutter bei der Wäsche mithelfe. Wir waren unten im Waschhaus und da kam einer, ein Abgesandter von der Jüdischen Gemeinde. Die Gestapo hat sich ja immer hinter die Jüdische Gemeinde oder auch mal hinter den Oberbürgermeister gesteckt, die trat ja nicht offiziell hervor. Und der Mann brachte meiner Mutter den Deportationsbefehl für den 16. Februar. Und ich bekam früh mit der Post eine Karte, daß ich mich Dienstag, den 13. Februar – ich kann nicht mehr sagen, war's nachmittags um vier oder fünf – auf dem Arbeitsamt Maternistraße einfinden soll. Da hatten sie schon dazugeschrieben: zwecks auswärtigem Arbeitseinsatz zur ärztlichen Untersuchung – so war's ungefähr formuliert.“
Während Frau K. am Nachmittag des 13. Februar 1945 nach einer medizinischen „Untersuchung“ als tauglich für den „Arbeitseinsatz“ befunden wurde, bereiteten sich englische Bomberbesatzungen bereits auf einen Routineeinsatz vor, der in jener Nacht Dresden gelten sollte. Mit dem doppelten Deportationsbefehl in den Händen beschlossen Mutter und Tochter sich selbst zu töten. Als Stunden später die Bomben auf Dresden fielen hatte die Mutter Morphium genommen, für die Tochter reichte der Vorrat nicht mehr. „Wir legten uns in unsere Wohnung auf den Fußboden, die Fenster zersprangen und die Türen. In den Keller durften wir nicht. Danach kam der zweite Angriff, so gegen eins. Der Luftschutzwart fragte, ob wir mit in den Keller wollten. Ich sagte: Wir können auch hier oben auf den Tod warten.“ Aber das Haus wurde nicht getroffen und das Morphium hatte nach langem Verstecken vor den Hausdurchsuchungen der Gestapo seine Wirkung verloren. Am Tag der angekündigten Deportation erwarteten Mutter und Tochter inmitten der scheinbar unendlichen Trümmerlandschaft die Häscher. Die aber blieben aus. Die britischen und amerikanischen Bomber hatten ihnen das Leben gerettet.
Der Bericht von Frau K. ist im Tonbandprotokoll eines mehrstündigen Gespräches dokumentiert, welches wir 1987 führten, und er ist wie oben zitiert im Buch „Lebenszeichen – Dresden im Luftkrieg 1944/45“ wiedergegeben – in jenem Buch also, von dem Götz Aly in einem taz-Beitrag dieser Woche behauptet, es enthalte „kein Wort vom Deportationsbefehl für die Letzten“. Was jene kleine Gruppe Dresdner Juden meint, die Anfang 1945 noch nicht deportiert oder in die Emigration gezwungen wurde.
Als „subtil verfälschende Sprechblasen der neueren ,Erinnerungskultur‘“ bewertet der Autor das Schlußwort des Buches und hat dabei die Lektüre offensichtlich von hinten begonnen und zwei Seiten weiter vorn nach der von ihm zitierten Textstelle abgebrochen. [...] Und so erweist sich die Kritik als ganz und gar nicht subtile, sondern allein verfälschende Sprechblase einer Gesprächskultur, die noch nicht einmal neu ist, die vorgefertigte Bewertungen durch flüchtig zusammengesuchte Belege zu beweisen sucht, die „block buster“ wirft (um den Sprachschatz des britischen Bomber Command zu benutzen) ohne vorher Aufklärung einzuholen, was nicht einmal Bomber-Marschall Harris getan hätte. Dabei wäre die für den Autor, anders als für alliierte Aufklärungsflieger über Deutschland, leicht und ohne Lebensgefahr zu erreichen gewesen. Die Anschrift unserer kleinen Gruppe ist im Impressum des Buches angegeben. Möglicherweise wäre Götz Aly dann auch auf ein weiteres und viel umfangreicheres Buch unseres Vereins gestoßen, in dem die vollständigen Tagebuchaufzeichnungen von Victor Klemperer aus jenen Tagen wiedergegeben werden, jenes Dresdner Romanisten, den der Autor als Zeugen für das Schicksal der jüdischen Einwohner unserer Stadt zitiert.
Aus der Sicht eines Dresdners, der seit 15 Jahren auch die Art des Umganges mit der Erinnerung an die Zerstörung unserer Stadt zu dokumentieren sucht, verwundert mich der unbekümmerte Umgang mit Belegen – wenn etwa Götz Aly ein „ostdeutsches Standardwerk“ kührt oder gar aus den „Annalen der Stadt“ zitiert. Wo finden wir die denn? Sicher in Sandstein gemeißelt und am Fuße des Fürstenzuges aufgestellt.
Aber, Satire beiseite: Ich weiß natürlich um die Gefahr, daß die Erinnerung an die Luftangriffe auf Dresden benutzt wird, um die Verantwortung des deutschen Volkes für die Verbrechen des NS-Regimes zu verdrängen. Die Stadt Dresden ist an der Jahreswende 1944/45 keine unschuldige Kunststadt gewesen, in der kulturbeflissene Bürger in friedlicher Arbeit ihrem Alltag fern von Krieg und Verbrechen nachgingen. Gerade darauf habe ich mit dem Versuch, im Buch „Angriff Martha Heinrich Acht – Leben im Bombenkrieg“ erstmals den Alltag der Dresdner in den letzten neun Monaten des Zweiten Weltkrieges darzustellen, hingewiesen. Dresden war eine Großstadt des „Dritten Reiches“, geprägt von allem, was dessen Alltag bestimmte, von alltäglicher Normalität bis brutaler Unterdrückung. Zudem: Lange schon produzierte die Dresdner Industrie für die deutsche Rüstung. Als Eisenbahnknoten und Standort von Wehrmachts- und Luftwaffen- Einheiten war die Stadt von militärischer Bedeutung. In der Reflektion der Ereignisse vor 50 Jahren in der Dresdner Öffentlichkeit hat besonders dieser Aspekt erstmals eine breite Darstellung erfahren.
An nur einem Punkt bin ich prinzipiell anderer Meinung als Götz Aly: Er beklagt die „vorsätzliche Verwischung“ in der Darstellung der Schicksale der Menschen im Bombenhagel. Aber Bomben „verwischen“ eben. Sie töten ohne zu unterscheiden. In einem KZ- Außenlager in der Dresdner Firma Universelle starben Häftlingsfrauen genauso wie die Dresdner Familien in den Wohnhäusern neben der Fabrik. Die Berichte der jeweils Überlebenden verwenden ähnliche Worte, das Grauen zu beschreiben. Den taz-Bericht illustriert eine Ansicht des zerstörten Stadtzentrums, aufgenommen vom Rathausturm. Aus dieser Perspektive sind keine getöteten Menschen zu erkennen. Unser Archiv beinhaltet aber auch sehr andere Fotografien: Körper Verbrannter, Erstickter, Erschlagener sind da zu sehen. Zwar ist hin und wieder deren Geschlecht, ihr Alter, ihr Gesicht zu erkennen, aber wir wissen nicht, ob die Fotografie die Reste eines deutschen Blockwarts oder einer Antifaschistin, eines britischen Kriegsgefangenen oder einer russischen Arbeiterin zeigen.
In den vergangenen Wochen wurden hier und da Meinungen laut, die eine Gruppe Protestierender während der städtischen Gedenkveranstaltung am Montag auf den Slogan zusammenfaßte: „no tears für krauts“. Das stellt entweder eine unüberlegte Überreaktion auf die tatsächlich vorhandene Gefahr nationalistischer Umdeutung des Geschehens dar, oder ist wirklich so gemeint. Ich hoffe, daß ersteres der Fall ist. Dürfen Tausende Dresdner nicht um getötete Angehörige oder Freunde trauern? Selbst wenn wir Kinder, Ausländer, Häftlinge, Kriegsgefangene auslassen: Sind all die sonst Getöteten unterschiedslos schuld gewesen an nationalsozialistischen Verbrechen? Alles Verbrecher, die eine gerechte Strafe fanden? Die man nicht betrauert? Ich hoffe, daß unser Handeln in unserer Zeit nicht irgendwann einmal mit gleichem Maßstab gemessen werden wird. Wieviel leichter wäre es für uns zu widerstehen, wenn Menschenwürde verletzt, wenn Gewalt ausgeübt wird, wenn wir wissentlich unsere Umwelt zerstören. Und wie wenig tun wir wirklich dagegen.
Die Art des Gedenkens an die Zerstörung Dresdens war an jedem 13. Februar Ausdruck sowohl der gesellschaftlichen Bedingungen wie auch der Gefühle und Überzeugungen der Dresdner. Auch wir werden in den kommenden Jahren Inhalt und Form der Erinnerung wieder und wieder neu bestimmen müssen. Das wird vielleicht außerhalb der grellen Scheinwerfer eines 50. Jahrestages leichter sein. Wenn es gelingen soll, ohne Selbstmitleid und ohne Beschönigung die Vergangenheit unserer Stadt und unseres Volkes anzunehmen und zu verantwortlichem, demokratischem Handeln zu finden, dann ist eine Form der Diskussion nötig, die ohne Parolen und Vor-Urteile Zuhören und Nachdenken ermöglicht. Matthias Neutzner,
Interessengemeinschaft
„13. Februar 1945“, Dresden
„Ein paar Ergänzungen zu unvollständigen Geschichtsbildern“, untertitelte Götz Aly seinen Artikel. Dabei empört er sich über frühere ostdeutsche Darstellungen zu Dresden. Hätte Götz Aly recherchiert anstatt sich anscheinend von antikommunistischen Vorurteilen leiten zu lassen, dann hätte er erkennen müssen, daß in der ostdeutschen Geschichtsschreibung trotz vieler Verfälschungen auch Wahrheiten stecken. Es ist durch Quellen belegt, daß die Zerstörung Dresdens von den Engländern und Amerikanern als Teil des damals schon sich abzeichnenden Kalten Krieges gegenüber der damaligen Sowjetunion inszeniert wurde.
Man wollte gegenüber der Sowjetunion bei den für die Neuordnung Europas so wichtigen Verhandlungen in Jalta, die zeitgleich zu den Bombardierungen Dresdens liefen, mit einer Demonstration der Stärke aufwarten, um eben diese Verhandlungen aus dieser Stärke-Position führen zu können. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hingewiesen, daß Dresden sogar für den Abwurf der ersten Atombombe vorgesehen war, was nur daran scheiterte, daß sie nicht rechtzeitig fertiggestellt werden konnte.
Man war sich in jenen Monaten schon im groben darüber einig, in welche Zonen Deutschland nach dem Kriegsende aufgeteilt werden sollte, daß der Osten Deutschlands der Sowjetunion zufallen würde. Ab Mitte Januar standen, so geht es zumindest aus Briefen des Oberbefehlshabers der englischen Bomberflotte Marschall Harris hervor, vorrangig ostdeutsche Städte auf dem Zerstörungsplan der Engländer und Amerikaner. Nur ein Zufall? Wenn das nicht damals schon „Kalter Krieg“ war, dann weiß ich auch nicht, was man sonst darunter verstehen sollte. [...] Thomas Müller, Reutlingen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen