■ Darf sich und soll sich die Bundeswehr an der Sicherung des Abzugs der UN-Truppen aus Kroatien beteiligen?: Die üble Logik der Einzelfallprüfung
Noch in diesem Monat muß der Bundestag aller Voraussicht nach über die Beteiligung der Bundeswehr an der Sicherung des Abzugs der UN-Blauhelme aus Kroatien und, in dessen Gefolge, womöglich auch aus Bosnien diskutieren. Die Stichworte für die Debatte sind bereits alle gefallen und werden uns in den unterschiedlichsten Varianten präsentiert werden. Die Bundesrepublik, so Rühe, Kohl und etwas leiser wohl auch Kinkel, darf ihre Verbündeten in der Not nicht im Stich lassen. Wenn es darum geht, britische und französische Blauhelme „herauszuhauen“, könne man sich schließlich nicht hinter kleinlichen Argumenten verstecken – das würde im Bündnis endgültig niemand mehr verstehen und den Zusammenhalt der Nato damit ernsthaft gefährden.
Fischer wird antworten, in Bosnien werde schließlich nicht die Nato verteidigt, sondern die angegriffene bosnische, hauptsächlich muslimische Bevölkerung – und für deren Sicherheit sei die Präsenz deutscher Soldaten auf dem Balkan geradezu gefährlich, weil die Serben dann um so erbitterter losschlügen und eine politische Lösung endgültig verspielt würde. Auch die Sicherheit abziehender Blauhelme würde durch deutsche Soldaten nur zusätzlich gefährdet.
Die SPD ist gespalten – während die einen behaupten, eine „defensivere Aktion als einen Abzug“ könne es doch gar nicht geben (Karsten Voigt), sind die anderen vehement gegen einen Kampfeinsatz in Bosnien, weil die Bundeswehr dort nichts zu suchen habe.
Das Ergebnis der Abstimmung ist so vorhersehbar wie die Debatte: Die 2.000 Bundeswehrsoldaten, die Rühe der Nato bislang angeboten hat, werden mit den besten Wünschen der Mehrheit des Hohen Hauses gen Süden marschieren. Dieses Szenario hat in Bonn bereits einen Namen und heißt „pragmatische Lösung“. SPD-Bundesgeschäftsführer Günter Verheugen hat erst jüngst in einem Interview erklärt, was darunter zu verstehen ist: Statt auf Dogmen in der Außenpolitik zu bestehen (gemeint ist in diesem Fall die oftmals geäußerte Feststellung, die Bundeswehr solle sich zumindest in den Weltgegenden zurückhalten, in denen die Wehrmacht besonders unangenehm aufgefallen ist), solle man Einsätze der Bundeswehr jeweils im konkreten Fall diskutieren und bewerten. Einzelfallprüfung statt Grundsatzdebatten.
Genau diese Parole ist in Bonn bei der derzeit brisantesten und weitreichendsten Frage der deutschen Politik parteiübergreifend mehrheitsfähig. Seit das Bundesverfassungsgericht im Juli letzten Jahres Bundeswehreinsätze im Rahmen eines „Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ entsprechend den vertraglichen Regeln der jeweiligen Organisation für zulässig erklärt hat, vermeiden aus unterschiedlichen Motiven sowohl die Regierungsparteien als auch die Opposition eine Debatte, in der jenseits des rechtlich Möglichen das politisch Sinnvolle künftiger Bundeswehreinsätze außerhalb des Nato-Bündnisgebietes grundsätzlich festgelegt wird.
Für das Bundesverfassungsgericht sind sowohl die Vereinten Nationen als auch die Nato und die WEU Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit. Mit dem Beitritt zu einer dieser Organisationen, der jeweils mit Zustimmung des Parlaments erfolgt sein muß, ist es nach dem Urteil des Zweiten Senats dann auch verfassungsrechtlich unbedenklich, die damit verbundenen, auch militärischen, Aufgaben im Rahmen und nach den Regeln des Systems mit zu übernehmen. In bezug auf die UNO bedeutet dies: Die Bundeswehr darf sowohl an friedensichernden als auch friedenerzwingenden Maßnahmen (also Kampfeinsätzen) der UNO teilnehmen. Dabei wird vorausgesetzt, daß deutsche Truppen dem Kommando der UNO unterstellt werden, wie dies schon in Somalia der Fall war.
Komplizierter wird es, wenn die Nato, wie jetzt in Bosnien geplant, als Auftragnehmer der UNO auftritt. Vier der acht RichterInnen waren der Meinung, solche Einsätze außerhalb des Nato-Vertragsgebietes seien durch den bestehenden Nato-Vertrag nicht abgedeckt. Nach den jetzigen Statuten wird die Nato tätig, wenn eines ihrer Mitglieder angegriffen wird. Das Parlament hätte also erst einmal den natointernen Veränderungen, die die Allianz seit 1990 diskutiert und die praktisch einer Veränderung des Nato-Vertrages gleichkommen, zustimmen müssen, bevor deutsche Truppen als Nato-Einheiten außerhalb des Nato-Vertragsgebietes eingesetzt werden. Dies gilt selbstverständlich erst recht für Out-of-area-Einsätze der Nato ohne Mandat der UNO. Sollten die Vereinten Nationen aus finanziellen oder politischen Gründen – etwa weil man fürchtet, Rußland werde im Sicherheitsrat seine Zustimmung verweigern – einen Nato-Einsatz zur Absicherung des Blauhelm- Rückzuges nicht mandatieren, wögen die Bedenken der VerfassungsrichterInnen um so schwerer.
Offen, weil nicht damit befaßt, läßt das Verfassungsgericht die Frage, ob die Bundeswehr sich an einem Einsatz nach dem Muster des Golfkriegs hätte beteiligen dürfen, wo die UNO ja nur einen allgemeinen Persilschein ausstellte, den Militäreinsatz aber nicht selbst kommandierte und auch keiner anderen Organisation übertrug. Immerhin läßt das Urteil aber genügend interpretatorischen Spielraum, um bei entsprechendem politischem Willen auch einen solchen Einsatz rechtlich zu legitimieren. Wirklich ausgeschlossen nach der Verfassung bleibt lediglich ein völliger Alleingang der Bundeswehr etwa in Togo.
Also noch einmal die Frage: Wollen wir das? Soll alles, was rechtlich möglich ist, auch gemacht werden? Daß die Regierung wenig Interesse zeigt, ihren in Karlsruhe erlangten Handlungsspielraum nun durch neue gesetzliche Definitionen über den Auftrag der Bundeswehr einzuschränken, ist noch nachvollziehbar. Aber warum vertröstet uns auch die Opposition mit dem Hinweis, Diskussions- und Entscheidungsbedarf gebe es immer nur in konkreten Fällen? Das Gegenteil ist richtig: Seit das Bundesverfassungsgericht das Feld geöffnet hat, ist jetzt endgültig die Politik in der Pflicht. Die Rolle der Bundeswehr unter veränderten außenpolitischen Bedingungen muß jetzt diskutiert und festgeschrieben werden, sonst triumphiert allein die Macht des Faktischen.
Bislang hat es Rühe mit Unterstützung der Union und des Außenministers in den letzten vier Jahren immer geschafft, durch jeweils neue Einsätze die Grenze des Möglichen zu erweitern. Das wird auch nach dem sogenannten „defensiven Kampfeinsatz“ in Ex-Jugoslawien, vor allem wenn er ohne UN-Mandat abläuft, so sein. Der nächste Schritt ist schon vorstellbar. Sollten die Kroaten die Nato tatsächlich davon überzeugen können, nach dem Blauhelmabzug eine Pufferzone entlang der kroatischen Grenzen zu ziehen, werden die Deutschen mit von der Partie sein. Das ist die Logik der Debatte des Einzelfalls, die von Verheugen propagierte pragmatische Linie. Denn wenn die Bundeswehr erst einmal bei der Sicherung des Abzugs in Kroatien dabei ist, mit welchem Argument sollte sie aus den integrierten Nato-Verbänden ausscheren, falls die Organisation beschließt, in Kroatien zu bleiben?
Eine Entwicklung, die sich schließlich nur noch nach dem Strickmuster „Wer A sagt, muß auch B, C, D usw. sagen“ vollzieht, ist nur noch zu beeinflussen, wenn die Opposition dem eine klare außenpolitische Alternative mit einer klaren, politisch gewollten Beschränkung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr entgegenstellt. Das ist bislang unterblieben, weil sowohl die Grünen als auch die SPD in dieser Frage gespalten sind. Ein großer Teil der Grünen lehnt Bundeswehreinsätze außer vielleicht zur Landesverteidigung nach wie vor generell ab, also auch einen wie auch immer beschränkten Einsatz out of area. Bei der SPD sind Blauhelmeinsätze für friedensichernde Maßnahmen Beschlußlage der Partei, die Außenpolitiker der Fraktion wollen aber wesentlich mehr zulassen. Das Ergebnis dieser parteiinternen Auseinandersetzungen ist die politische Enthaltsamkeit im Parlament. Damit gibt die Opposition aber die Möglichkeit auf, wenigstens den Schaden zu begrenzen.
Erste Maxime für die Bundeswehr kann nur sein, außerhalb des Nato-Vertragsgebietes, wenn überhaupt, dann nur im Auftrag der UNO und nur unter ihrer – auch militärischen – Kontrolle aktiv zu werden. Die Entgegnung aus der Union und auch aus Teilen der SPD, man dürfe sich doch nicht von den Entscheidungen der Chinesen oder künftig vielleicht auch noch der Inder oder Brasilianer im Sicherheitsrat abhängig machen, trifft genau den Punkt. Die Bundesregierung muß davon abhängig sein. Sollte die Bundeswehr außerhalb des Verteidigungsgebietes der Nato noch einmal auftreten, dann nur im Auftrag der internationalen Staatengemeinschaft. Militärinterventionen, die nur den Interessen des westlichen Blocks dienen, sind mehr oder weniger gut kaschierte imperialistische Politik. Es ist Aufgabe der Opposition, das, wenn sie es im Moment schon nicht verhindern kann, wenigstens zum Thema zu machen. Jürgen Gottschlich
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen