: Politische Entlassungen in Moskau
Staatsanwalt und Polizeichef nach dem Mord an dem Journalisten Listjew gefeuert / Büro des Hauptaktionärs von Ostankino durchsucht / Nationaler Sicherheitsrat tagt ■ Aus Moskau Barbara Kerneck
Fünf Tage nach dem Mord an dem beliebten Fernsehmoderator Wladislaw Listjew ist gestern die Entlassung des Moskauer Generalstaatsanwalts Gennadi Ponomarjow und des Polizeichefs der Stadt, Wladimir Pankratow, öffentlich bestätigt worden. Gleichzeitig fand eine Tagung des Nationalen Sicherheitsrats statt, auf der Innenminister Jerin, der Vorsitzende des Föderalen Antispionage-Dienstes, Stepaschin, und der provisorisch das Amt des russischen Generalstaatsanwalts ausübende Viktor Iljuschin Referate zur Frage der Bekämpfung der Kriminalität im Lande hielten. Verteidigungsminister Gratschow fiel die Aufgabe zu, aus den jüngsten Erfahrungen in Tschetschenien Schlüsse über die Verteidigungsfähigkeit des Landes zu ziehen. Entgegen der Ankündigung wohnten der Sitzung weder die Vorsitzenden der beiden Kammern des Parlaments bei, noch Moskaus Oberbürgermeister Juri Luschkow. Luschkow hatte am Sonnabend im Regionalfernsehen indirekt mit seinem Rücktritt gedroht, falls es zur Entlassung der beiden obersten Sicherheits-Beamten seiner Stadt käme: „Ich muß auch Konsequenzen für mich selbst ziehen, falls diese Entscheidung so fällt. Wir sind vernunftbegabte Leute. Und ich verspreche Ihnen: wir werden ohne das geringste Zögern handeln“, erklärte er mit triumphierendem Lächeln. Über die Entlassungen, so fügte er gestern hinzu, könnten sich mehr als alle anderen die Vertreter des organisierten Verbrechens freuen. Ponomarjow und Pankratow galten als gestandene Professionelle.
Die Personalentscheidung hatte Präsident Jelzin in seiner Rede am Donnerstag vor Listjews Kollegen des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders Ostankino als erster gefordert. Polizeichef Pankratow wurde nun von Innenminister Jerin entlassen, Gennadi Ponomarjow bereits am Sonnabend von dem amtierenden Generalstaatsanwalt Iljuschenko. Dessen Zuständigkeit in dieser Frage ist umstritten, da die Moskauer Staatsanwaltschaft der gesamtrussischen nicht untersteht.
Die Moskauer Staatsanwaltschaft hatte Ende letzter Woche die Durchsuchung des Hauptquartiers der Firma „Logowas“ angeordnet, die in letzter Zeit zum größten Aktionär von Ostankino geworden ist. Die Logowas-Führung reagierte geradezu hysterisch auf diese Aktion. Generaldirektor Boris Beresowski ist heute Stellvertreter des Vorsitzenden des Direktoren-Rates von Ostankino, Alexander Jakowlew. Mit der Neuorganisation des Werbeprogramms und der Aktionierung dieses Senders ist der Mord an Listjew am häufigsten in Verbindung gebracht worden.
Der Name Beresowskis ging erstmals im letzten Juli durch die Weltpresse, als auf seinen Dienstwagen ein Bombenattentat ausgeübt wurde, bei dem er selbst wie durch ein Wunder am Leben blieb, sein Fahrer aber umkam. Am Freitag hatte die Tageszeitung Kommersant den Bericht eines Mitarbeiters Listjews wiedergegeben, der anonym bleiben wollte. Demzufolge erhielt dieser Anfang März einen anonymen Anruf mit der Aufforderung, zu einem bestimmten Treffpunkt zu fahren, um „Wlads Schicksal zu erörtern“. Er habe zugesagt und an der betreffenden Stelle zwei Männer vorgefunden, von denen einer sich als Chef des persönlichen Sicherheitsdienstes von Boris Beresowski ausgegeben habe. Dieser Mann habe dem Mitarbeiter gesagt, daß Listjew und Josif Kobson das Attentat auf Beresowski finanziert hätten. Die ganze Version erscheint auf den ersten Blick ziemlich abwegig, eine entsprechende Spur wurde von der Kriminalpolizei zu keinem Zeitpunkt verfolgt.
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