: Wieviel wußte die Bank von England?
Amsterdamer ING übernimmt bankrottes Bankhaus Barings / Finanzjongleur Leeson weiter in Haft / Barings hat von riskanten Geschäften nicht nur gewußt, sondern sie finanziell gestützt ■ Von Ralf Sotscheck
London (taz) – Obwohl die britische Barings Bank aufgrund riskanter Warentermingeschäfte – sogenannter Derivate – an fernöstlichen Börsen zusammengebrochen ist, erhalten die leitenden Angestellten leistungsbezogene Prämien in einer Gesamthöhe von hundert Millionen Pfund. Das ist gestern durchgesickert, nachdem der Verkauf der Bank an die Internationale Nederlanden Groep (ING) in Amsterdam perfekt gemacht wurde.
ING wird die gesamten Geschäftsbereiche von Barings sowie die weltweit 4.000 Angestellten übernehmen. Und die Schulden. Man will umgerechnet rund 1,5 Milliarden Mark in die marode Bank pumpen, sagte ING-Sprecher Ruud Polet. Ein Barings-Angestellter rechtfertigte die Prämienzahlung gestern: „Es gibt einige sehr gute Leute bei Barings, die man halten muß.“ Alistair Darling, der Börsenexperte der Labour Party, bezeichnete die Prämien dagegen als empörend. „Es spricht Bände über den Zustand dieses Landes“, sagte er, „daß an Leute bei Barings Prämien ausgezahlt werden, während die Bank um sie herum in Trümmern liegt.“
Der Händler, der die Bank im Alleingang in den Ruin getrieben haben soll, sitzt noch immer in Auslieferungshaft in Frankfurt, wo er am Donnerstag, eine Woche nach seiner Flucht aus Singapur, festgenommen wurde. Nick Leeson soll einen auf Barings ausgestellten Einzahlungsbeleg über 81 Millionen Dollar auf ein Konto der Citibank Singapur gefälscht haben, um die Verluste bei seinen Derivatgeschäften an der Tokioter Börse vorübergehend zu decken. Der 28jährige bestreitet die Vorwürfe. Er wird morgen erneut dem Haftrichter vorgeführt.
Singapurs Premierminister Goh Chok Tong bezeichnete Leeson am Sonntag als Sündenbock und gab „internen Problemen bei Barings“ die Hauptschuld am Bankrott. Es gebe keinen Grund, das Vertrauen in Singapurs Börsenindex Simex zu verlieren, sagte Goh. Singapurs Börsenaufsicht habe im Januar „bei den beteiligten Stellen Besorgnis“ wegen des Umfangs der Barings-Geschäfte angemeldet. Einer der Bankdirektoren sei daraufhin nach Singapur gereist, um die Bedenken auszuräumen. Außerdem hat die Börsenaufsicht am Samstag einen Brief von James Bax, Leesons direktem Vorgesetzten, aus dem Jahr 1992 vorgelegt, in dem er den Barings-Vorstand vor mangelnden Kontrollen der Singapur-Geschäfte warnt. Der Barings-Vorstand hatte diesen Brief bisher verheimlicht.
Darüber hinaus sind inzwischen Belege aufgetaucht, wonach Barings in den Wochen vor dem Zusammenbruch acht Millionen Pfund nach Singapur transferiert hat, um Leesons riskante Geschäfte zu stützen. Das war rund das Doppelte des Bankkapitals. Nach dem Bankgesetz von 1987 muß eine Bank aber die Genehmigung der Notenbank einholen, wenn sie mehr als ein Viertel ihres Kapitals auf einen einzigen Bereich setzt.
Dieser Kapitaltransfer, so glauben Experten, hätte jemandem auffallen müssen. Banken müssen monatliche Liquiditätsberichte vorlegen. Selbst wenn Barings den plötzlichen Geldbedarf vertuscht hat, was bisher nicht feststeht, so hätte die Aufsichtsbehörde das an den Bewegungen auf den Finanzmärkten ablesen können. Darling hat den Schatzkanzler Kenneth Clarke aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen. „Da nun klar ist, daß die Probleme vor zwei Jahren vorauszusehen waren“, sagte er, „stellt sich die Frage, ob die Bank von England Bescheid wußte – und wenn nicht: warum nicht?“
Die Notenbank hat dazu jede Stellungnahme verweigert. Schatzkanzler Clarke hatte vor acht Tagen die Bankenaufsicht mit der Untersuchung „aller Aspekte des Falles“ beauftragt. Vorsitzender der Behörde ist jedoch Eddie George, der Notenbankpräsident, und von den neun übrigen Mitgliedern gehören drei ebenfalls der Bank von England an. Darling meint, damit mache man den Bock zum Gärtner.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen