■ Standbild: Simulation Feuerball
„Was geschah wirklich? Piper Alpha – die programmierte Katastrophe“, Montag, 21.15 Uhr, Sat.1
Am sechsten Juli 1988 zerriß eine Explosion die britische Nordsee- Bohrinsel Piper Alpha. 167 Menschen starben bei dem Unglück, und Sat.1 fragt heute: „Was geschah wirklich?“ Die Antwort auf diese Frage ist verblüffend. Unmittelbar vor der Detonation liegt, nichtsahnend, einer der Arbeiter in seiner Koje und liest ein Buch. Wir, die Zuschauer, blicken ihm über die Schulter und lesen mit. Ein Abenteuerschinken. Als die Explosion dann die gesamte Insel erschüttert, segelt das Buch in Zeitlupe auf den Kajütenboden: Das also geschah „wirklich“.
„Die programmierte Katastrophe“ ist eine Art Doku-Fiktion, die Originalaufnahmen, Zeitzeugeninterviews, inszenierte Dok-Szenen und Simulationen so ineinandergreifen läßt, daß der Eindruck eines Katastrophenfilms entsteht: „Verschollen im Bermudadreieck“ oder „Die Höllenfahrt der Poseidon“. Problematisch wird diese Methode, weil wir als Zuschauer bei einigen Aufnahmen aufgrund der flotten Montage nicht mehr entscheiden können, ob sie nun gefaked sind oder nicht. Unterschwellig entsteht so zwangsläufig der Eindruck, die Katastrophe geschähe eigentlich nur fürs Fernsehen.
Die lückenlose Rekonstruktion des Unglücks, die auf lobenswert präziser Recherche basiert, ist in diesem Fall kein Maßstab mehr für die Qualität der Dokumentation. Denn die Art, wie hier dokumentiert wird, läßt die eigentlichen Fakten – so paradox das klingt – beliebig werden. Gefakete Dok-Passagen und Computersimulationen erwecken den Eindruck, als nähme der Betrachter direkt am Geschehen teil.
Hier dringen Rauchschwaden aus einer Tür, dort laufen Arbeiter eine Stahltreppe hinunter. Das Auge des Zuschauers ist an einem unmöglichen Ort plaziert. Die Authentizität der Fakten relativiert sich daher, weil sie nurmehr Bestandteil einer Dramaturgie sind. Diese Dramaturgie bestimmt den Seheindruck der Zuschauer weit mehr als die Tatsächlichkeit des dokumentierten Faktums.
Selbst wenn am Ende der Sat.1-Katastrophensimulator Hendrick Hey vor die Kamera tritt, um uns über die nach wie vor mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen auf britischen Bohrinseln zu informieren, so klingt dies eher wie: Fortsetzung folgt. Manfred Riepe
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen