: Die Schleimspur
■ Seit Fachzeitschriften die Artikelproduktion immer mehr zu freien Journalisten auslagern, wird das Bestechen billiger
Es ist Konsens in diesem Land, daß sich der Journalist allein von Medienunternehmen einkaufen lassen soll. In der Praxis heißt das: Statt klarer, unmißverständlicher Vorträge über Imageprobleme und deren gut belohnter Beseitigung (der Fall Italien) bedienen sich deutsche Unternehmen vorsichtshalber noch des beauftragten Umschleichers.
Die Annäherung beginnt regelmäßig damit, daß das Telefon klingelt und sich ein Unbekannter als freier Journalist vorstellt, als Kollege sozusagen. Er habe gehört, beginnt er beispielsweise, daß ich als freier Journalist auch für Fahrradzeitschriften arbeite und einen Test des Produktes XY plane. Das treffe sich gut, er sei auch dran an der Sache, habe gerade einen großen Test organisiert und würde gern einmal hören, was meine Meinung zu XY sei. Es sei noch zu früh für eine Bewertung, antworte ich. Das muntert meinen Gesprächspartner hörbar auf, der sogleich vorschlägt, zu einer Zusammenarbeit zu kommen. Sein Pressebüro habe zehn Testfahrer mit XY ausgerüstet, da sei ich doch sicher an Ergebnissen interessiert.
Für wen er arbeite? Tja, auf die Frage habe er schon gewartet, also: Auftraggeber sei der Hersteller von XY, das solle aber dennoch ein völlig unabhängiger Test sein und so betreibe man das auch, sein Journalistenbüro sei überhaupt nur nebenbei und gelegentlich im Bereich Marketing tätig. Deshalb wolle er auch fragen, ob ich Lust habe, für sein Büro zu arbeiten. Man habe mehrere Projekte für die Industrie an der Angel, genau in meinem Fachgebiet.
Spezialisierte Bestechungsagenturen
Erwartungsgemäß stellt mein Einwand, ich sei für das Verfassen von Marketing-Texten völlig unbegabt, kein Hindernis dar. Man habe auch Bedarf an Texten zur Weiterverwertung aus meinem Spezialgebiet, keine Frage, daß an meiner Mitarbeit Interesse bestehe und diese angemessen entlohnt werde. Und was den Test von XY angehe, sei man sicher in der Lage, in kurzer Zeit mit Ergebnissen aufzuwarten.
Das unausgesprochene Verquicken von Arbeitsangebot mit gewünschtem Fazit von Berichterstattung an anderer Stelle ist ein alter Hut. Neu ist das Entstehen spezialisierter Dienstleister für das Erzeugen positiver Presseberichte. Leistung wird erbracht, ohne den Kunden – denn das wäre unerwünscht – darüber in Kenntnis zu setzen, wie das Ergebnis zustande kam.
Auch die Bestechung läuft über Freie
Dies befreit den Auftraggeber von der Sorge, sein Ruf könne durch Veröffentlichung solcher Details geschädigt werden. Der Vorzug ist unmittelbar aus diesem Artikel zu ersehen, in dem ein keineswegs namenloses Produkt durch „XY“ ersetzt ist.
Den Beobachtungen des Berichterstatters zufolge nehmen Angebote wie das oben dargestellte seit ungefähr zwei Jahren stark zu. Neben den exemplarisch beschriebenen Anrufen fällt auf, daß Industrievertreter meine Bitte um Hilfe bei der Datenermittlung immer häufiger als Bitte um finanzielle Hilfe deuten. Da scheint eine recht freimütig geäußerte Nachfrage zu bestehen.
Die Verlagerung finanzieller Zuwendungen von der Zeitschrift selbst an „freie“ Journalisten ergibt sich unmittelbar aus der Umstrukturierung der Presse. Einer Redaktion obliegt nur mehr die ordnende Gestaltung einer Zeitschrift, die Texterstellung ist fast vollständig ausgelagert. PR-Agenturen nutzen dies: Erstens können sie Beiträge direkt an die Redaktion verkaufen, indem sie als Pressebüro freier Journalisten auftreten.
Zweitens werden finanzielle Zuwendungen direkt an die Schreiber gerichtet. Weil „freie“ Journalisten nicht nur Risiken selbst tragen, sondern in der Regel nur ein Drittel des Lohnes festangestellter erhalten, vermindert dies die für die Bestechung der Presse anfallenden Kosten deutlich: „Freie“ sind billig, erscheinen ihrer nicht selten prekären finanziellen Situation wegen besonders willig, und die absurde Diskrepanz zwischen öffentlichem Ansehen einerseits und Entlohnung andererseits erleichtert es ihnen, Selbstbetrug dem Unrechtsbewußtsein entgegenzusetzen. Die Zunahme von Bestechungsversuchen muß nicht notwendigerweise mit höheren Bestechungsmitteln verbunden sein.
Es ist möglich, daß sich gleichzeitig die Zahl der Artikel vermindert, die – von Zeitschriftenredaktionen geschrieben – in irgendeiner Ecke mit der kleinsten verfügbaren Schriftgröße verschämt als „PR-Anzeige“ gekennzeichnet zu werden pflegen. Da für derlei nicht selten fünfstellige Beträge an den Herausgeber gezahlt werden, ließe eine Umschichtung der Mittel auf „freie“ Journalisten eine große Zahl von Angeboten zu.
Anfänger und Überzeugungstäter
Auslagern der Textproduktion zum Niedrigpreis ist für die Verlage nicht ohne Problem. Der reale Stundenlohn liegt unter dem von Putzkräften, was einerseits Schreiber ohne Qualifikation, andererseits auch Überzeugungstäter anzieht. Aufgabe moderner, spezialisierter Presse ist jedoch, durch möglichst billig hergestellte redaktionelle Beiträge einen Leserkreis so zu formen, daß er sich für Werbebedürfnisse klar bestimmter Unternehmensgruppen eignet. Rentabel arbeitet, wer das vom redaktionellen Teil vermittelte Maß an Information nach dem Minimum an Qualität ausrichtet, welches beim Leser Bereitschaft erzeugen kann, die Werbebotschaften entgegenzunehmen.
Unbestechlicher Journalismus wird künftig teuer bezahlten Informationsdiensten der Wirtschaft vorbehalten sein. Daneben wird es ihn noch in Nischen geben, wo mit übersteigertem Geltungsbedürfnis für das eigene soziale Umfeld geschrieben wird. Hans-Joachim Zierke
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