: Der teure kleine Finger eines Polizeibeamten
■ Rudi K. soll 117.529,26 Mark Schadensersatz zahlen, weil er bei seiner Festnahme einen Polizisten so schwer verletzte, daß dieser ein Jahr dienstunfähig war
Kaiserslautern (taz) – Der teure Finger eines Polizisten aus der Westpfalz beschäftigt zur Zeit das Landgericht in Kaiserslautern. Über 117.000 Mark Schadensersatz will das Land Rheinland-Pfalz in einem Zivilprozeß von einem Straftäter einklagen. Rudi K. soll bei seiner Festnahme im Januar vor drei Jahren einen Polizisten so stark am Finger verletzt haben, daß der Beamte ein Jahr lang nicht arbeiten konnte. Ein zweiter Beamter, der bei der Verhaftung dabei war, fordert jetzt ebenfalls Schadensersatz von Rudi K. Er will 50.000 Mark Schmerzensgeld, weil er seither unter Depressionen leide.
Am 14. Januar 1992 wollten drei Polizeibeamte Rudi K. in seiner Wohnung im westpfälzischen Steinbach am Glan festnehmen. K. soll sich damals laut Aussage der Polizisten massiv gewehrt haben. Verhaftet wurde er, weil ihm sexueller Mißbrauch zur Last gelegt wurde. Mittlerweile ist er für diese Straftat rechtskräftig verurteilt worden und verbüßt eine Strafe. Nun ist Rudi K. erneut die Hauptperson vor Gericht – diesmal in einem Zivilverfahren. Denn bei K.s Festnahme hatte sich ein Polizist laut ärztlicher Diagnose einen „knöchernen Ausriß der Strecksehne und eine Distorsion im Mittelgelenk“ des kleinen Fingers zugezogen. Ein Jahr lang habe der Beamte daraufhin nicht zur Arbeit gehen könnnen, so das Land als Kläger. Für den Lohn des Polizisten und Behandlungskosten soll Rudi K. jetzt inklusive Zinsen exakt 117.529 Mark und 26 Pfennig in die rheinland-pfälzische Staatskasse zahlen.
Eine extrem hohe Summe, vor allem angesichts der Tatsache, daß eine solche Fingerverletzung für gewöhnlich in vier bis sechs Wochen ausheilt. Das meinte zu Beginn des Prozesses auch der Richter zum Anwalt des Landes. Hier müsse das Land als Kläger doch noch etwas Material liefern, um deutlich zu machen, warum der Beamte so lange Zeit nicht im Dienst gewesen sei. Des Richters Argument: „In Zeiten, in denen Beamte nicht gerade den besten Ruf haben, müßte es doch möglich sein, einen Hauptkommissar mit einem lädierten Finger am Schreibtisch einzusetzen.“ Der Anwalt des Landes erklärte daraufhin, er werde weitere Informationen liefern. Problematisch sei eben das Dienstrecht der Polizei. Hier gebe es nur dienstfähig und dienstunfähig. Nicht jeder Polizist könne ohne weiteres versetzt werden.
Schmerzensgeld, weil Heiratschancen gleich Null
Das Gericht muß aber nicht nur klären, ob der Polizist zu Recht ein Jahr lang nicht gearbeitet hat, sondern auch, ob Rudi K. nicht ebenfalls einen Anspruch gegen die Polizisten hat. Der Beklagte verlangt nämlich seinerseits 4.000 Mark Schmerzensgeld von den Polizisten. Diese hätten ihn bei der Festnahme ins Gesicht geschlagen, er sei auf den Boden gefallen, dann hätten die äußerst erregten Polizisten auf ihn eingetreten und ihn als „Wichser“ und „Wichsbeutel“ beschimpft.
Doch damit noch nicht genug: Kurz vor Ende der dreijährigen Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche hat auch ein zweiter an der Festnahme beteiligter Beamter seinen Anspruch geltend gemacht. Als Privatmann will er 50.000 Mark Schmerzensgeld von Rudi K. einklagen. Dieses Verfahren soll möglichst an die Klage des Landes angehängt werden. Denn die Beweisaufnahme ist dieselbe. Der Polizist leidet drei Jahre nach der Aktion angeblich unter schweren Depressionen. „Er ist derzeit dauernd dienstunfähig ohne Aufgabe und Perspektive“, heißt es im Schriftsatz seiner Anwälte. Außerdem könne er aufgrund seiner Depressionen nun keine „ständige Lebensgefährtin/Ehefrau mehr finden, so daß die Heiratschancen auf Null reduziert sind“. Das rechtfertige ein Schmerzensgeld von 50.000 Mark.
Fraglich ist bei diesem Polizisten jedoch, ob seine Depressionen nicht doch einen anderen Grund haben: Gemeinsam mit seinem Kollegen, dessen Finger erst nach einem Jahr verheilt war, hatte der Beamte im Sommer 1993 in Schönenberg-Kübelberg in Notwehr den 26jährigen Rom Andreas Romano erschossen. Seither werden die beiden Polizisten von Romanos Familie mit Mord bedroht. Sie haben ständigen Begleitschutz. Einer der beiden Polizisten kam daher mit zwei Sicherheitsbeamten zum Prozeß.
Das Gericht muß nun entscheiden, ob Rudi K. schuld daran war, daß einer der beiden Polizisten ein Jahr lang nicht arbeiten konnte. Ein Urteil sei allerdings in diesem Jahr nicht mehr zu erwarten, meinte der Anwalt von Rudi K. Der nächste Verhandlungstermin ist am 26. Mai 1995. Heike Zahn
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