: Nachschlag
■ Wolfgang Heisig bei der Musik-Biennale in der Nationalgalerie
Was passiert, wenn 30 Schauspielstudenten gleichzeitig einen Satz vom Blatt lesen? Dies zu überprüfen, gab es Donnerstag nacht in der Nationalgalerie einen „Lokaltermin“. Wolfgang Heisig, Komponist und Aktionskünstler, hatte nämlich eine folgenschwere Inspiration: „Ich sah mehrere junge Männer, dunkel gekleidet, mit dem typischen Kafka-Hut und mit einer schwarzen Tasche in der Hand... Das gab mir ein Rätsel auf.“ Also ersann er sich eine Konferenz der schwarzen Männer, und diese stehen nun wie in einen Boxring eingepfercht und wissen nicht, worum es geht. Alle reden gleichzeitig, aber Kommunikation findet nicht statt. Doch es geht auch nicht um eine Aussage, sondern um den Klang der Worte, um Sprachstrukturen und Sprachmelodie. Eine Konferenz als Konzert?
Die Idee der simultanen Rede ist so alt wie die akustische Poesie selbst. Schon DADA Zürich hat mit seinem poème simultan Grenzen der Sprache überschritten, sie der Kommunikationsfunktion beraubt und ihre einzelnen Elemente musikalisiert. Im Lokaltermin erhält jeder Schauspieler (ob Heisig keine Konferenzteilnehmerinnen kennt?) 40 Textblätter und hat für jedes eine Minute Zeit – nach Gefühl, versteht sich. Würden alle ihre Texte in der gleichen Geschwindigkeit lesen, käme kurz vor Schluß jener Satz simultan, der überprüfen soll, „was passiert, wenn 30 Schauspielstudenten gleichzeitig ...“ Doch vor diesen Kulminationspunkt hat Heisig noch einen Anfang gesetzt, und den hat er aus seinem EEG abgeleitet.
Entsprechend hört sich das an: Glissandi hoch und runter sind das einzig musikalisierende an den einzelnen Lauten. Das ist sterbenslangweilig und hat mit Klangkomposition erst mal recht wenig zu tun. Später kommt dann der bewußte Satz, nacheinander natürlich, und das ist dann wieder lustig, weil er dreißigmal mit gehörigem Pathos gesprochen wird. Entgegen der Absicht liegt nun aber die Stärke der Komposition doch mehr in der Semantik und der absurden Wiederholung von Sätzen als in dem kompositorischen Gefüge, in der sinnlichen Verlautbarung und Strukturierung von sprachlichen Elementen. Die differenzierten Möglichkeiten der Musikalisierung von Sprache werden, was bei einer spontanen Aktion auch schwer möglich ist, bei weitem nicht genutzt. Eine Konferenz ist eine Konferenz ist eine Konferenz – und eben kein Konzert. Christine Hohmeyer
Die Biennale geht mit szenischen Konzerten weiter am Samstag, 16 Uhr im Podewil mit Hespos „mini mal!“ und Stelzenbach/ Hoyer „verzeihung, der kopf“ sowie um 19 Uhr im Hebbel Theater mit einem Kagel-Abend und mit Uraufführungskonzerten am Sonntag im Konzerthaus am Gendarmenmarkt um 11, 16 und 20 Uhr.
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