: Kategorien des Kalten Kriegs zu den Akten legen
■ Dokumentation: Die SPD muß die Beteiligung einer demokratisch gewählten PDS an Entscheidungsprozessen akzeptieren und zur Zusammenarbeit bereit sein, fordern der SPD-Bundestagsabgeordnete Thomas Krüger und Kreuzbergs Bürgermeister Peter Strieder
Die jüngsten Landtags- und Bundestagswahlen haben es deutlich gemacht: Eine politische Mehrheit in Bonn oder Berlin unter Führung der SPD und jenseits von großen Koalitionen kann es derzeit nur geben, wenn die SPD die Konkurrenz mit der PDS offensiv sucht und ihr Themen und Wähler streitig macht. Die SPD muß bei ihren strategischen Überlegungen in Rechnung stellen, daß die PDS eine etablierte Partei Ostdeutschlands ist und nichts dafür spricht, daß sie ohne diese Konkurrenz marginalisiert werden kann.
Dabei darf die Koalitionsarithmetik keine Rolle spielen. Die SPD muß sich vielmehr mit der Frage auseinandersetzen, wie sie es erreichen kann, daß sich links von ihr keine Partei auf Dauer etablieren oder eine solche Partei wenigstens klein gehalten werden kann. (...)
Obwohl alle betonen, die bisherigen Wähler der PDS müßten für die Sozialdemokratie gewonnen werden, lehnt man Gespräche und Kontakte mit der Partei, die derzeit noch das Vertrauen der Wähler genießt, um die sich die Sozialdemokratie bemühen will, ab. Gleichzeitig aber ist man gezwungen, im Parlament zusammenzuarbeiten, sei es bei der Besetzung von Ausschüssen oder in Abstimmungen über einzelne Sachfragen. In Sachsen kann die SPD noch nicht einmal ohne die Zustimmung der PDS einen Untersuchungsausschuß fordern. In vielen Bezirksämtern Berlins läuft ohne Kompromisse mit der PDS nichts, aber in der Öffentlichkeit wird so getan, als ob man mit der PDS nichts zu tun haben darf. Parteitagsbeschlüsse, die den politischen Diskurs und die partielle Zusammenarbeit mit der PDS auf kommunaler und regionaler Ebene unter Kuratel stellen, führen nur zu einer Stärkung der Lagermentalität der PDS-Mitglieder und ihrer Wähler. Der bisherige Kurs der SPD, die PDS zu einer vorübergehenden Erscheinung der Nach-Wende- Zeit machen zu wollen, die ihre Existenzgrundlage verliert, wenn die „innere Einheit“ hergestellt ist, muß genau deshalb scheitern. (...)
Initiative zurückgewinnen
Die politische Auseinandersetzung mit der PDS und ihren Wählern aufzunehmen heißt für die SPD zunächst einmal, den Blick auf sich selbst zu richten. Die SPD muß in der Auseinandersetzung mit der PDS die Kategorien des Kalten Krieges zu den Akten legen. Die Gleichsetzung der PDS mit der SED und ihrem kommunistischen Gesellschaftsmodell hält einer Prüfung nicht stand, verstärkt als ideologischer Angriff nur den ideologischen Gegenreflex und führt damit zur Verkrustung von Loyalitäts- und ostdeutschen Wir-Gefühlen. Die Entscheidung von Wählern und einfachen Mitgliedern für die PDS wird damit a priori diskreditiert, quasi mit einem politisch-moralischen Makel behaftet. Der Wahlentscheidung wird letztlich die demokratische Legitimität abgesprochen.
Die „gesamtdeutsche“ SPD muß den moralischen Rigorismus ihrer ostdeutschen SPD-Gründergeneration überwinden. So verständlich er auch unter Berücksichtigung der Biographien ostdeutscher SozialdemokratInnen ist, führen Abgrenzung und politische „Berührungsverbote“ letztlich doch immer zur Einschränkung eigener politischer Handlungsmöglichkeiten und damit zum Verzicht auf die politische Initiative. Die Ost-SPD muß die Vielfältigkeit der Biographien, die in der DDR geschrieben wurden, berücksichtigen. Sie muß sich ebenso für „abweichende“ Biographien öffnen, um Volkspartei zu werden, wie es Schuhmacher getan hat, als er die SPD für unbelastete Mitläufer der NS-Zeit geöffnet hat. (...)
Diskurs forcieren
Die SPD muß den politischen Diskurs mit der PDS forcieren und deren Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen dort, wo die PDS durch ein Mandat legitimiert ist, grundsätzlich akzeptieren und zu einer normalen Zusammenarbeit bereit sein. Sie zwingt die PDS damit dazu, ihren Charakter als letztlich an verantwortlicher gesamtstaatlicher Politik nicht interessierter Fundamentalopposition offenzulegen oder den Prozeß der inneren Ausdifferenzierung zu einer politisch handlungsfähigen Partei im demokratischen Spektrum der Bundesrepublik zu beginnen. Damit wäre der PDS auch die Möglichkeit versperrt, wie bisher alle anderen Parteien als „westdominiert“ zu diffamieren, die Kritik an ihr zu einem Kulturkampf West gegen Ost hochzustilisieren und ihr eigenes „Überleben“ zum eigentlichen Thema ihrer Mobilisierungsstrategie zu machen. (...)
Bedingungen formulieren
Der politische Diskurs der SPD mit der PDS kann aber nur erfolgversprechend in Angriff genommen werden, wenn die PDS ihrerseits Bereitschaft zeigt, ihr politisches Lager zu verlassen und sich einer demokratischen Auseinandersetzung zu stellen. (...) Der PDS muß zunächst das Eingeständnis abgefordert werden, daß die Zwangsvereinigung der SPD mit der KPD zur SED ein Akt diktatorischer Willkür war. Dabei geht es der SPD nicht um deklamatorische Schuldbekenntnisse und Vergangenheitsbewältigung, sondern darum, der PDS das Recht und die Legitimität streitig zu machen, das „linke“ demokratische Spektrum in der deutschen Parteienlandschaft zu definieren.
Voraussetzung jeden Dialogs ist für die SPD ein unmißverständliches Bekenntnis der PDS zu den tragenden Werten des Grundgesetzes. Diese Aufklärung über das Verhältnis der PDS zum demokratischen Rechtsstaat und zum Gemeinwesen Bundesrepublik Deutschland ist für die SPD angesichts der immer wiederkehrenden Distanzierung der PDS („Dieses ist nicht unser Staat“) dringend geboten. Den „dritten Weg“ der PDS, der nach dem Zusammenbruch der totalitären DDR auch die Ablehnung der bundesrepublikanischen Demokratie impliziert, wird es mit der SPD nicht geben.
Die SPD erwartet von einer sich wandelnden PDS auch eine pluralistische Öffnung ihres parteipolitischen und gesellschaftlichen Handelns. Die Partei hat nicht immer recht. Sektiererische Loyalitätsforderungen und Lagermentalität verhindern einen pluralistischen und effizienten Diskurs auch in Verbänden, Organisationen und Vereinen in Ostdeutschland, in denen die PDS Einfluß gewonnen hat.
Der Dialog mit der PDS muß unfruchtbar bleiben, wenn sie ihre unkritische Rezeption der DDR- Vergangenheit nicht aufgibt. Die PDS betreibt eine populistische Verklärung von DDR-Errungenschaften zum Zwecke parteipolitischer Vorteile. Sie spaltet damit die Menschen der neuen Länder in „gute und andere Ostdeutsche“ und behindert den Ausbau des demokratischen Gemeinwesens in Ostdeutschland. Sie wirkt desintegrierend und erweist sich, indem sie zur Übernahme einer politischen Gesamtverantwortung nicht bereit ist, in dieser Verfassung für die SPD in der neuen Parteienlandschaft der Bundesrepublik als nicht kooperations-, geschweige denn koalitionsfähig. Thomas Krüger, Lichtenberger
Kreisvorsitzender; Peter Strieder,
Bezirksbürgermeister Kreuzberg
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