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Vom Teilen und Herrschen

Parlamentswahlen im Mai sollen Äthiopien demokratisieren. Vorher muß aber ein Boykott der mißtrauischen Opposition abgewendet werden  ■ Von Bettina Rühl

Am 7. Mai ist es so weit: Zum ersten Mal sollen an diesem Tag, so will es jedenfalls die äthiopische Regierung, die rund 22,5 Millionen Wahlberechtigten unter den 55 Millionen ÄthiopierInnen ein Parlament wählen. Es soll der Abschluß des Übergangsprozesses zur Demokratie sein, den die einstigen Guerillabewegung „Revolutionäre Demokratische Front des Äthiopischen Volkes“ (EPRDF) nach ihrer Machtergreifung im Jahre 1991 versprochen hatte.

Die letzte Hürde zu den Parlamentswahlen wurde am 8. Dezember vergangenen Jahres genommen, als Äthiopiens Verfassunggebende Versammlung ein Grundgesetz verabschiedete. Das nationale Fernsehen übertrug die mehrstündige Abschlußdebatte der 548 Verfassungsgeber und übermittelte damit die pompösen Feierlichkeiten auch in die hintersten Hütten des Volkes. Besonders mitreißend war die Sendung für viele Zuschauer jedoch nicht, und so blieb auch die Stimmung vielerorts müde: „Alles Geschwätz.“

Nach offiziellem Sprachgebrauch ist Äthiopien nun auf dem besten Weg zur Demokratie. Gratulationen kamen nach dem 8. Dezember von 18 westlichen Botschaften, darunter auch der Deutschlands: Das Grundgesetz sei ein „wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Demokratie“, schrieb die Gruppe in einer Erklärung. Trotz dieses Lobes hielten es die Autoren des Papiers für angebracht, der EPRDF-Übergangsregierung einige Ratschläge für den kommenden Wahlkampf mit auf den Weg zu geben: Es gehöre zur „Essenz“ der Demokratie, allen politischen Parteien ihre Arbeit zu ermöglichen und bürgerliche Grundrechte wie Versammlungs-, Bewegungs- und Meinungsfreiheit zu garantieren. Bei diesen Lernprozessen versprachen die Unterzeichner weitere Unterstützung.

Der Wink mit dem Zaunpfahl macht deutlich, daß es mit der Demokratie in Äthiopien noch nicht so weit her ist. Von den 548 Mitgliedern der Verfassunggebenden Versammlung gehörten 464 zur EPRDF. Dazu kamen etwa 60 Vertreter anderer regierungsnaher Parteien – und nur eine Handvoll neutrale Abgeordnete.

„Die Verfassung ist auf undemokratische Weise erarbeitet und ratifiziert worden, denn von diesem Prozeß waren alle Parteien außer der EPRDF ausgeschlossen“, kritisiert Beyene Petros, der Vorsitzende der Oppositionsgruppe CODEF („Demokratischer Rat der südäthiopischen Völker“). Die Regierung hindere oppositionelle Parteien an ihrer politischen Arbeit: Mitglieder würden verhaftet und schikaniert, Parteibüros geschlossen. Die Oppositionskoalition CAFPDE („Rat der alternativen Kräfte für Frieden und Demokratie in Äthiopien“) wies die Erklärung der Botschaften als „Legitimierung und Anerkennung einer autoritären Einparteienherrschaft“ zurück.

In der Verfassung sind Menschen- und Bürgerrechte gemäß internationaler Konventionen garantiert. Der „Äthiopische Menschenrechtsrat“ (EHRCO) hat in bisher sieben Berichten jedoch Menschenrechtsverletzungen seitens der Regierung aufgelistet: 30 Oppositionelle seien binnen eines Jahres „verschwunden“, 33 in diesem Zeitraum von Mitgliedern der EPRDF ermordet und 32 weitere inhaftiert worden, ohne daß sie je einen Richterspruch gehört haben sollen, schrieb der EHRCO in seinem jüngsten Bericht vom August 1994. Weitere Fälle seien der Organisation gemeldet worden, doch habe man die Überprüfungen der Vorwürfe noch nicht abgeschlossen. Auch amnesty international hat in der Vergangenheit wiederholt zu „Urgent Actions“ für äthiopische Oppositionelle aufgerufen. Seit Ende Januar „sucht“ die Menschenrechtsorganisation nach zehn „Verschwundenen“.

Nicht nur politische Parteien scheinen unter Repressionen der Regierung zu leiden: Die „Oromo- Hilfsorganisation“ (ORA) beklagte im Januar die „anhaltende Verfolgung und Einschüchterung“ ihrer Mitarbeiter in Negelle. Verschiedene Mitglieder der humanitären Organisation säßen ohne Anklage in Haft. Wegen dieser „feindseligen Haltung der Autoritäten“ müsse die ORA die Nahrungsmittelverteilung und andere Hilfsleistungen in der Region einstellen.

Die Regierung weist alle diese Vorwürfe kategorisch zurück. Die Opposition kritisiert allerdings nicht nur die politischen Umgangsformen, sondern auch einige Kapitel der Verfassung, die auch in der Verfassunggebenden Versammlung umstritten waren. Heftig diskutiert wurde vor allem über zwei Fragen: Der Aufbau eines föderalen Regierungssystems, das auf ethnischer Grundlage strukturiert wird, und die Frage des Landbesitzes. In beiden Punkten setzte sich die von der EPRDF favorisierte Lösung durch: Äthiopien wird aus neun Regionen bestehen, die entlang „ethnischer Grenzen“ gebildet sind, und die Verfassung garantiert den Volksgruppen auch das Recht auf Sezession. Ein zweiter Streitpunkt war die Frage der Zukunft des zuvor unter dem sozialistischen Militärdiktator Mengistu staatseigenen Landes. Der Streitpunkt wurde im Sinne der EPRDF gelöst: Das Land bleibt im Staatsbesitz.

Aber das Recht auf Sezession ist nach wie vor umstritten. Beyene Petros sieht darin eine „Quelle ständiger Unruhe“. Er fürchtet, daß Nachbarstaaten äthiopische Volksgruppen dazu aufstacheln könnten, ihr Recht auf Unabhängigkeit einzuklagen, um so den eigenen Machtbereich auszudehnen: „Somalia hat zum Beispiel immer wieder territoriale Ansprüche auf den Ogaden geltend gemacht.“

Durch die Teilung der Regionen nach Sprachen und Nationalitäten würden vor allem in der Südregion Spannungen geschürt, denn hier leben mehr als 57 Sprachgruppen auf engstem Raum zusammen. Auf den verschiedenen Verwaltungsebenen kämpfen sie nun um die Vorherrschaft. Anlaß sei oft der Versuch der Mehrheit, ihre Sprache in Ämtern und Klassenzimmern durchzusetzen. Dahinter vermutet er machtpolitische Interessen: „Sie versuchen die Minderheiten, die in vielen Gebieten kaum weniger Mitglieder haben, aus der Region zu vertreiben.“ Bei den Konflikten, die deshalb ausbrachen, seien Menschen gestorben. Familien sei ihr ganzer Besitz niedergebrannt worden. Zur Zeit bekämpfen sich die Gedeo und die oromosprachigen Guji so heftig, daß die Zentralregierung vor Reisen in das Gebiet warnt.

Die Kritik wird von dem deutschen Wissenschaftler Matthias Brenzinger, der im vergangenen Jahr die Folgen der neuen Sprachpolitik in der Südregion untersuchte, bestätigt. Bestimmte Gruppen, sagt er, sähen in der Politik der Regierung ein Mittel, ihr Einflußgebiet auszudehnen. Der Afrikanist sieht in der Wahl der Verwaltungssprache eine „ausschließlich (macht)politisch begründete Entscheidung“. Hinzu kommen organisatorische Probleme und finanzielle Schwierigkeiten: Unzählige Übersetzer müßten in den Amtsstuben, Gerichtssälen und Polizeiwachen bezahlt werden, wenn jede der über 50 Sprachgruppen ihr Recht wirklich umsetzen dürfte. Manche Sprachen müßten erst verschriftet, Schulbücher erstellt und gedruckt werden. Brenzinger urteilt deshalb: „Die meisten der über 50 Sprachen der Südregion werden aus finanziellen und personellen Gründen auch weiterhin nicht gefördert werden können, und lediglich einige wenige, dominante Sprachgruppen profitieren.“ Der Wissenschaftler betonte allerdings, daß diese Ergebnisse auf andere Gebiete, in denen die Mehrheitsverhältnisse eindeutiger sind, nur bedingt übertragen werden können.

Dennoch belasten diese Probleme die Vorbereitung der Wahlen. Um ein Anwachsen der Spannungen und gar das Ausbrechen lokaler Bürgerkriege zu vermeiden, versuchen zur Zeit zahlreiche Initiativen, Regierung und Opposition an einen Tisch zu bringen. Dabei sollen sie Bedingungen aushandeln, unter denen die oppositionellen Parteien bereit wären, für die Wahlen eigene Kandidaten aufzustellen.

So trafen sich Mitte Februar auf Einladung des US-Kongresses Vertreter der EPRDF und ihrer wichtigsten politischen Gegner in Washington. An den Gesprächen nahmen die CODEF und eine ihrer Mitgliedsparteien, die „Demokratische Koalition der südäthiopischen Völker“ (SEPDC) sowie die „Organisation des Amharischen Volkes“ (AAPO) und die „Oromo-Befreiungsfront“ (OLF) teil. Die Gespräche gingen zu Ende, ohne daß die Opposition ihre Teilnahme an den Parlamentswahlen zusagte, doch immerhin wurde vereinbart, den „Runden Tisch“ in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba fortzusetzen.

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