Wird Radio Bremen an Leo Kirch verkauft? Natürlich nicht. Aber die Stadtwerke an Preag. verkauft?

■ Wagen und Winnen - Resigniert Bremens Politik oder nutzt sie endlich ihre ökonomischen und ökologischen Chancen ? / Von Helmut Spitzley

1. Unser Wissen um die Gefahren der Atomwirtschaft und die Bedrohung durch eine Klimakatastrophe fhrt zum gleichen Ergebnis: Wenn wir dauerhaft umweltverträglich wirtschaften und leben wollen, mssen wir eine radikale Wende der Energiepolitik vollziehen. Kommunales Eigentum an Energieunternehmen ist dabei keine Garantie für eine ökologisch-ökonomische Energiepolitik, wohl aber eine besondere Chance. Denn anders als überregionale Stromkonzerne haben Kommunen ein direktes Interesse an umweltfreundlicher, dezentraler Energienutzung und an Arbeitsplätzen in der Stadt.

Aus diesen Gründen haben die Kommunen der neuen Bundesländer gegen die überregionalen Stromkonzerne vor höchsten Gerichten erfolgreich dafür gekämpft, ihre Energieversorgung und die damit verbundenen wirtschaftlichen Vorteile in die eigenen Hände nehmen zu können. Auch im Westen sind derzeit eine ganze Reihe von Gemeinden bemüht, Kraftwerke und Stromnetze zu erwerben und das Monopol von RWE, VEBA/PREAG und Bayernwerke zu brechen. Stadtwerke sind Schlsselunternehmen für die ökologisch-ökonomische Modernisierung der Wirtschaft. Das Progress-Institut für Wirtschaftsforschung hat bereits vor Jahren ermittelt, da eine ökologisch-ökonomische Energiepolitik in Bremen eine groe Zahl neuer Arbeitsplätze schaffen könnte.

Ein Stadtwerke-Verkauf an PREAG wrde dagegen mittelfristig bremische Arbeitsplätze vernichten: bei den Stadtwerken und um zu. Der Grund ist einfach: Es liegt im Konzerninteresse von VEBA/PREAG diejenigen Kraftwerksstandorte zu bevorzugen, die zu 100 Prozent in ihrem Besitz sind. Die Standorte in Bremen, an denen der Konzern aus kartellrechtlichen Grnden sich nur mit maximal 25 Prozent beteiligen kann, werden zwangsläufig benachteiligt.

2. Wenn CDU/FDP (mit Unterstzung einiger Personen aus der SPD) erklären, für das Sanierungsprogramm müßten die Stadtwerke verkauft werden, irren sie. Umgekehrt: Wenn es sie nicht bereits gäbe, müßten die Stadtwerke gegründet und ausgebaut werden zur „ökologischen und ökonomischen Modernisierung der bremischen Wirtschaft“. Würden aber Stadtwerkeanteile an Vorlieferanten, also an die geborenen Konkurrenten der Stadtwerke, verkauft, dann käme dies einer „feindlichen Übernahme“ gleich. Und Bremen verlöre ein wesentliches Gestaltungsinstrument für eine eigenständige Wirtschafts-, Umwelt- und Arbeitsmarktpolitik.

Stadtwerke sind also kein bloes Tafelsilber, das man einfach verkaufen kann, wenn man Geld braucht, sondern ökonomische und ökologische Werkzeuge. Gut geführte Stadtwerke sind langfristige „Aktivposten der kommunalen Haushalte“ (Deutscher Städtetag). Wer seine Werkzeuge verkauft, beschneidet die eigenen politischen HandlungsmÜglichkeiten und gibt sich selbst auf. Selbstkastration wird bestraft und ist nicht revidierbar.

3. Bremens Politik hat viele Jahre in Bezug auf die Stadtwerke geschlafen. Wir erinneren nur an den unterlassenen Ausbau der Fernwärme. Der Versuch des politisc

hen und ökonomischen Umsteuerns hat zaghaft erst in den letzten Jahren begonnen, durch einzelne Personen in den Stadtwerken, Beratung von auen einzelnen Politikern und mit einem Umwelt- und Energiesenator, der mit einigen Kompetenzen (Bremer Energiegesetz, Preisaufsicht, Investitionsaufsicht ...) sich endlich dieser Aufgabe angenommen hat. So gibt es bereits einige ausbaufähige Erfolge (Pläne zum Ausbau der Fernwärme, Linearisierung der Tarife, Programme zum Energiesparen, Nutzung erneuerbarer Energiequellen ...) vorzuweisen.

4. Als Folge von Versäumnissen der Vergangenheit war die Rendite der Stadtwerke mit 2-3 Prozent unbefriedigend. Dieses Ergebnis ist jedoch wesentlich steigerungsfähig.

Die Stadtwerke sind dabei – so geht es aus internen Papieren hervor – ,ihre Rendite auf 7 Prozent zu steigern. Der Verkauf eines produktiven und entwicklungsfähigen Unternehmens ist also nicht nur energiepolitisch falsch, sondern würde auch die Einnahmen und die Wirtschaftskraft Bremens schwächen. Oder trauen sich Bremens Politiker nicht zu, das eigene Unternehmen Stadtwerke ökonomisch zu optimieren?

Dann müssten sie sich aber die Frage gefallen lassen, ob ihnen die Sanierung Bremens zuzutrauen ist. Denn es ist klar, da das Bremer Sanierungsprogramm nicht erfolgreich sein kann, wenn nur defensiv und resignativ agiert wird. Statt des Ausverkaufs eines bremischen Schlüsselunternehmens ist eine innovative Offensivstrategie erforderlich.

Ein Beispiel: Der Bau des umweltfreundlichen und wirtschaftlich sehr erfolgreichen Heizkraftwerks Block 15 in Hastedt mußte erst unter dem Motto „Kein Atomstrom für Bremen“ gegen den erbitterten Widerstand der PREAG durchgesetzt werden. Haben einige Politiker ein so kurzes Gedächtnis, da sie ausgerechnet diesem Konzern nun Stadtwerkeanteile übereignen wollen? Das in Planung befindliche „Fernwärmebündnis“ zwischen den Stadtwerken und der Stadt Bremen hat mit politischer Unterstützung des Energiesenators und fachlicher Hilfe des Leiters des Bremer Energieinstituts Prof. Dr. Klaus Traube endlich Gestalt angenommen und kann in den nächsten Jahren umgesetzt werden – wenn die anders gelagerten Interessen von VEBA/PREAG und RUHRGAS nicht Einfluß erhalten und diesen negativ zur Geltung bring

en.

5. Die Stadtwerke haben sehr gute Entwicklungschancen. Durch ihre besonders günstige Lage am seetiefen Hafen können sie transportgnstige billige Importkohle einsetzen und auf dieser Grundlage besonders wirtschaftlich und gewinnträchtig Strom und Wärme erzeugen. Bei gutem Management also beste Ertragschancen. Eine solchen Rohdiamanten sollte Bremen gerade mit Blick auf die Sanierung seiner Finanzen und den bremischen Arbeitsmarkt nicht aus der Hand geben, sondern schleifen und selbstbewußt nutzen!

6. Bremer Energiebündnis: Eine Vereinbarung zwischen Stadtgemeinde Bremen und ihren Stadtwerken könnte etwa folgendes beinhalten:

-Ökonomische Optimierung der Stadtwerke in gemeinsamer Verantwortung.

-Klare ökonomischen Vorgaben: Ausweisung einer Kapitalrendite mindestens auf der Höhe der Schuldzinsen;

-Verkaufsüberlegungen werden aufgeschoben, bis der neue Vorstand eingearbeitet ist, die Ergebnisse des ökonomischen Optimierungsprogrammes der Stadtwerke absehbar sind und alle Handlungsoptionen (z.B. auch die Ausgabe von Volksaktien) sorgfältig an einem „runden Tisch“ mit Hilfe von unabhängigen Experten geprüft und öffentlich erörtert worden sind;

dies - schließt die Zusammenarbeit mit allen hierfür in Frage kommenden Unternehmen ausdrücklich ein – auf der Basis von Verträgen zwischen unabhängigen Partnern.

Bei diesem Verfahren behielte die bremische Politik alle Trümpfe in der Hand, anstatt sie resignativ an ferne, unbeeinflussbare Konzernzentralen abzugeben. Ein Verkauf ist eine nicht rückholbare Jahrhundertentscheidung und auch dann noch negativ wirksam, wenn die heute handelnden Personen schon längst nicht mehr politikbestimmend sein werden. Überhastete, vom Wahlkampf geprägte Entscheidungen sind höchst gefährlich.

6. Große Teile der Öffentlichkeit stehen dem Verkauf ablehnend gegenüber. Einen Verkauf an den Vorlieferanten und Konkurrenten VEBA/PREAG haben die Basis von SPD und Grünen grundsätzlich ausgeschlossen. Aus gutem Grund: Das Interesse von VEBA/PREAG richtet sich auf die Erweiterung ihres Liefermonopols und die Eroberung neuer Absatzmärkte – zu Lasten der Stadtwerke und der Arbeitsplätze in Bremen. Mittels eines „Vorstandes ihres Vertrauens“ würde VEBA/PREAG mageblich die Geschäftspolitik der Stadtwerke bestimmen. Mit anderen Worten: Ein Atomstromkonzern und Vorlieferant wrde in Zukunft den bremischen Energiemarkt kontrollieren.

7. Dies hat überregionale Bedeutung auch für die Glaubwürdigkeit von Politik. Aus anderen Bundesländern wird aufgrund negativer Erfahrungen dringend vor einem Verkauf an Vorlieferanten gewarnt.

Die SPD-Mitglieder des Deutschen Bundestages und sozialdemokratische Energieexperten schreiben beispielsweise in einem offenen Brief vom 24.3.95 an den Bremer Bürgermeister: „Wir bitten Sie dringend: Bitte prüfen Sie vorliegende Alternativen zu einem Anteilsverkauf genau. Sollte ein Verkauf unumgänglich sein, verkaufen Sie maximal 24,9 Prozent und keinesfalls an Vorlieferanten“ (Prof. W. Bach, Prof. M. Ganseforth (MdB), Prof. P. Hennicke, M. Mller (MdB).

8. Es liegt im umwelt-, energie-, finanz- und regionalpolitioschem Interesse Bremens, vor Entscheidungen über den Stadtwerkeverkauf nochmals in Ruhe nachzudenken. An einem runden Tisch unter Beteiligung externer Experten und Kommunen in ähnlichen Finanznöten sollten die Pro- und Contras aller Handlungsoptionen öffentlich dargestellt und erörtert werden:

-Verkauf an Vorlieferanten

-Verkauf an andere Interessenten

-Ausgabe von Volksaktien (ist bislang offenbar nicht geprüft worden)

-Erhalt der Eigenständigkeit und Optimierung in eigener Verantwortung.

Bremen, den 24. März 1995

Helmut Spitzley