: Von der Straße in das eigene Haus
■ Auf einem ehemaligen Gärtnereigelände in Bernau bei Berlin hat der Bau eines „Obdachlosen-Wohnparks“ mit vier Nur-Dach-Häusern begonnen
Noch präsentiert sich das ehemalige Gärtnereigelände am Rande von Bernau als unwirtliche Baustelle. Auf dem nahezu zwei Hektar großen Areal an den Bahngleisen sollen bis zum Sommer vier „Nur-Dach-Häuser“ des „Obdachlosen-Wohnparks“ gebaut werden.
Die Idee, mit dem Bau der spitzgiebeligen und winterfesten Holzhäuser Wohnraum für Obdachlose zu schaffen, stammt von der Gruppe um die Zeitschrift Platte. Auf ihren Aufruf in der Obdachlosen-Zeitung meldete sich ein Berliner, der in Bernau ein Grundstück geerbt hatte und bereit war, das Stück Land gegen einen geringen Pachtzins zu vermieten.
In dieser Woche soll mit dem Bau des ersten Holzhauses begonnen werden – dort, wo von der früheren Gärtnerei nur noch der Schornstein steht und der Boden bereits planiert ist. Das Bautempo wird auch von den Finanzen bestimmt: Immer wenn durch den Verkauf der Zeitung genug Geld reingekommen ist, kann wieder für ein paar Tage eine Planierraupe oder anderes benötigtes Gerät gemietet werden.
Seit einigen Wochen übernachten Siegfried Wuttke und Heinz Czaplevski hier draußen in einem Wohn- und einem Bauwagen. Heinz ist gelernter Gärtner und will die Gärtnerei wieder mit aufbauen. Er wird bei Null anfangen müssen – denn außer einem sorgfältig aufgeschichteten Berg von Blumentöpfen ist nichts vom Inventar des früheren Unternehmens übriggeblieben.
Siegfried Wuttke ist gelernter Kraftfahrer und will demnächst mit dem Platte-Lastwagen Transporte übernehmen. Die erzielten Gewinne sollen wieder in den Aufbau des „Wohnparks“ fließen, wie die Aktivisten diesen in ironischer Anlehnung an andere wohlklingende Immobilienprojekte nennen.
Siegfried und Heinz schrauben an einer Chrom-Spüle, die sie in einem der Bauwagen installieren wollen. Neben der Miettoilette rattert ein Generator. Zwischen den Wagen ist ein olivgrünes Zeltdach aufgespannt, ein eiskalter Winterwind fegt über Tisch und Stühle. „Letzte Woche haben wir hier schon in der Sonne gesessen und mit einigen Lesern, die uns besucht haben, Kaffee getrunken“, erzählt „Wohnpark“-Initiator Frank Kußmaul.
Zwei Welpen mit flauschigem Fell tollen über den Vorplatz. Im Wohnwagen kommt bei einer heißen Tasse löslichen Kaffees vor dem Fernseher fast Gemütlichkeit auf – wenn es nur ein paar Grad wärmer wäre. Obwohl im Bauwagen der gußeiserne Ofen bollert, ist es nur unmerklich wärmer als draußen. Frank Kußmaul träumt von Open-air-Auftritten unbekannter Berliner Musikgruppen im Sommer, von Ständen, an denen die BewohnerInnen der Holzhäuser Blumen verkaufen. Ein Spielplatz ist geplant, und eine Clique von Jugendlichen aus Bernau hat vor, sich eines der Holzhäuser als Mini-Jugendclub herzurichten, zählt Kußmaul weitere Nutzungsideen für das Gelände auf. Kußmaul sieht kein Problem darin, daß der Pachtvertrag zunächst nur für fünf Jahre gilt. „Es gibt die Option auf Verlängerung, und wir wollen uns auch das Vorkaufsrecht sichern.“
Für Obdachlose, die lange Zeit von einem Tag zum anderen gelebt haben, sind fünf Jahre eine halbe Ewigkeit. Dorothee Winden
Spendenkonto für den Obdachlosen-Wohnpark: Konto-Nummer 1943 524 374 bei der Berliner Sparkasse, BLZ: 100 500 00
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