: Natural Born Traders Von Ralf Sotscheck
Sehr geehrter Oliver Stone! Da ich Ihre Privatadresse nicht kenne, versuche ich es auf diesem Weg. Vielleicht lesen Sie ja die taz. Zuerst eine Nachricht, die Sie freuen wird: Das Irish Film Centre in Dublin hat dem Zensor ein Schnippchen geschlagen und zeigt ab Freitag eine Reihe verbotener Filme. Neben Pasolinis „Die 120 Tage von Sodom“, Ken Russels „Die Teufel“, Borowczyks „La Bête“ und Dusan Makavejevs „WR – Mysterien des Organismus“ läuft dort auch Ihr Film „Natural Born Killers“ – und zwar viermal am Tag für zunächst zwei Monate. Der irische Zensor Sheamus Smith – vermutlich ein Tarnname – hatte den Film im Oktober verboten. Smith rauft sich jetzt zwar die Haare, ist aber machtlos, weil das Irish Film Centre versprochen hat, die „Vereinsregeln zur Kontrolle des öffentlichen Zugangs strikt“ zu handhaben. Mindestens 24 Stunden vor dem geplanten Kinobesuch muß man für umgerechnet 25 Mark Jahresbeitrag Mitglied im Centre werden und darf höchstens einen volljährigen Gast mitbringen. Eine vorübergehende Mitgliedschaft für zwei Mark fuffzich an der Abendkasse gibt es nicht mehr.
Nachdem dieses Problem gelöst wäre, können Sie ja nun in Ruhe Ihren nächsten Film drehen. Der Independent, eine überaus seriöse britische Tageszeitung, hatte dafür eine grandiose Idee: „Natural Born Traders“ – ein Film über ein junges Pärchen, nennen wir sie Lick und Nica Neeson, die mit 28-Millimeter-Derivaten und einer Futures-Magnum einen Pfad der Verwüstung auf südostasiatischen Märkten hinterlassen. Alle, die sich ihnen in den Weg stellen, gehen unweigerlich pleite. Für die Rolle kämen Hugh Grant („Vier Händler und ein Derivat“) und Sharon Stone („Silver“) in Frage. Als die Neesons dem Bankdirektor Eddie George – gespielt von Madonna – auf die Spur kommen, der die Bank von England als Tarnung für ein Spielcasino mißbraucht, erpressen sie ihn und setzen die ergaunerten Milliarden auf Futures in der japanischen Schlagerparade – ein kapitaler Fehler: Wider Erwarten setzt sich Miriam McKobes „Earthquake“ in den Top Ten fest. Den Neesons wird der asiatische Boden zu heiß, und sie fliehen.
Plötzlich taucht jedoch Roberta Maxwell auf, die etwas aufgedunsene Reporterin des Maily Dirtor. Sie stellt das tödliche Pärchen in Mexico City, wo sich die beiden gerade am Peso zu schaffen machen. Maxwell verrät sie aber nicht, sondern überläßt ihnen eine tägliche Kolumne im Dirtor, in der die Neesons ihr Finanz-Know-how an die Leserschaft weitergeben. Sie werden zu Medienstars. Mit dem Zeilengeld, so das Happy-End, kaufen sie die Borings Bank, die sie am Anfang in den Bankrott getrieben haben.
Natürlich wird man Ihnen, lieber Herr Stone, wieder vorwerfen, eine Anleitung für Nachahmungstäter gedreht zu haben. An der Londoner Börse wird man automatische Filmprojektor-Detektoren an den Eingängen aufstellen, und in Irland kommt der Film aus Angst um das irische Pfund mit Sicherheit auf den Index. Macht ja nix: Das Irish Film Centre wird den Jahresbeitrag auf fünfhundert Mark erhöhen, und die Möchtegern-Cow-Jones-Boys aus dem benachbarten Financial Centre werden in Scharen ins Kino strömen. Könnte ein Kultfilm werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen