: Wie ein Phönix aus der Asche
Libanons Hoffnungsträger Rafik Hariri plant den Wiederaufbau Beiruts und steht unter Korruptionsverdacht / Das Zentrum als Paradies für Reiche ■ Aus Beirut Khalil Abied
Der Libanon ist heute von einer großen Gefahr bedroht. Einer Gefahr, die viel größer ist als der Bürgerkrieg: Sie heißt Hariri.“ Stirnrunzelnd entwirft Najah Wakim seine düstere Prognose. „Die Kriegsherren haben den Libanon mit ihren Waffen zerstört. Hariri will dasselbe mit seinem Geld tun. Sein Plan führt dazu, die Libanesen in Sklaven der Geldhaber zu verwandeln.“
Najah Wakim ist Mitte vierzig und seit fast zwanzig Jahren Abgeordneter im libanesischen Parlament. „An-Na'ib al-Muschagib“, der zanksüchtige Abgeordnete, nennen ihn seine Landsleute. Seinen Parlamentssitz gewann er in den letzten Wahlen vor dem libanesischen Bürgerkrieg 1975. Der damals noch junge Kandidat überraschte die Wähler der Hauptstadt Beirut. Es war schon ungewöhnlich, daß ein griechisch-orthodoxer Christ zu einer panarabischen Nasseristen-Organisation gehörte und seine Unterstützung für die palästinensische Revolution kundtat. Najah Wakim bekam damals mehr Stimmen von den Muslimen als von den Christen.
Im Laufe des fast 16jährigen Bürgerkriegs gewann er unter seinen Landsleuten den Ruf eines „sauberen“ Politikers, der an den Verbrechen des Bürgerkriegs nicht beteiligt war, hingegen scharfe Kritik an den warlords übte. So belohnten ihn die Bürger Beiruts in den ersten Wahlen nach dem Krieg vor zwei Jahren mit seiner Wiederwahl. Heute gilt Najah Wakim als unnachgiebigster politischer Gegner des seit mehr als zwei Jahren als Premierminister fungierenden Multimilliardärs Rafik Hariri.
Im vergangenen Dezember zündete der Parlamentarier eine politische Bombe: Er warf Hariri Korruption und Steuerbetrug vor. Wakim schaltete damals den Staatsanwalt ein und übergab diesem all seine Informationen über den Premierminister. Seine Anklageschrift war lang: Zunächst klagte er den Premierminister an, Politiker zu bestechen. Seinen Angaben zufolge erhielten vierzig Abgeordnete zinslose Kredite im Wert von einer Million US-Dollar pro Kopf von Banken, die Hariri gehören. Dafür erklärten diese sich wiederum bereit, einer Genehmigung der Immobiliengesellschaft „Solidar“ zuzustimmen und mit den erhaltenen Krediten Aktien der Gesellschaft zu kaufen. „Solidar“ erhielt den Zuschlag für den Auftrag, die zerstörte Innenstadt von Beirut wiederaufzubauen, und die Abgeordneten hatten ihren persönlichen Profit gemacht.
Politische Kreise um den Premierminister behaupten, Hariri sei zwar Teilhaber der „Solidar“, sein Aktienanteil übersteige aber nicht mehr als zehn Prozent. Hariris Kritiker hingegen wollen wissen, daß der Premierminister durch Aktienkäufe von Strohmännern die überwältigende Mehrheit der Aktien in seinen Besitz nahm.
Ein weiterer Vorwurf der Anklageschrift Najah Wakims richtete sich an zwei der größten und sich in Hariris Besitz befindlichen Banken des Libanons: die „Libanesisch-Saudi-Arabische-Bank“ und die „Banque Mediterané“. Ihnen warf der Parlamentarier Steuerbetrug vor, da beide erklärt hatten, im 1994 keine Gewinne erzielt zu haben. 70 Prozent der vom Ministerium vergebenen Aufträge wurden ohne Ausschreibung den Gesellschaften zugeschlagen, die Hariri oder einem seiner Günstlinge gehören.
„Verzeihen Sie mir, ich bin zu spät zu Bett gegangen“, entschuldigt sich der Bey Umar Da'uk dafür, daß er mich in seinem rot- schwarz-gestreiften Schlafanzug empfängt. Ein sudanesischer Bediensteter, der die eben gebügelte Anzughose und ein weißes Hemd hereinträgt, serviert erfrischende Limonade und bitteren Kaffee. „Meine Frau“, stellt der Hausherr die elegante Dame vor, die plötzlich im Empfangsraum des alten Palastes erscheint. Sie teilt ihm mit, daß sie gerade mit einem Politiker telefoniert hat, der den Premierminister am Vortag heftig kritisiert hatte, um ihm zu danken.
Die Da'uks sind eine der einflußreichen Familien in Beirut, die bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs eine wichtige Rolle im politischen Leben des Landes spielten. Während des Krieges wurde ihre Rolle durch die warlords marginalisiert, und ein Teil der Familie ging ins Exil. Nach Kriegsende hofften sie, ihren alten Status wiederzuerlangen, doch nun sahen sie sich einem neuen mächtigen „Feind“ gegenüber: dem Geld.
„Das ist kein Wiederaufbau Beiruts oder dessen Zentrums, das ist der reine Diebstahl“, beginnt Omar Da'uk seine Rede. „Zuerst zwangen sie alle Eigentümer im Stadtzentrum, Aktionäre in der „Solidar“ zu werden. Das widerspricht der wirtschaftlichen Philosophie des Libanons, die auf freier Marktwirtschaft basiert.“
Da'uk ist Mitbegründer des „Vereins der Eigentümer im Stadtzentrum“. Die Mehrheit der Eigentümer opponiert gegen „Solidar“ und Hariris Plan zum Wiederaufbau des Zentrums. Nach dem Immobiliengesellschaften-Gesetz bekommen Eigentümer Aktien im Wert ihrer Immobilie. Von der Regierung wurde ein Komitee dafür eingesetzt, die Eigentumswerte zu schätzen. „Die Regierung schätzt unsere Immobilien auf nicht mehr als 15 Prozent des tatsächlichen Werts. Dadurch machen Hariri und seine Leute riesige Profite“, erklärt Omar Da'uk. „Auch müssen ganz Beirut und das ganze Land aufgebaut werden – nicht nur das Zentrum. Sich auf das Zentrum zu konzentrieren, ist wie einen Diamanten zu schleifen, um ihn auf einen Misthaufen zu legen.“
„Zur Haihöhle ?“ fragt der Taxifahrer, als ich mein Fahrziel angebe: die „Solidar“-Zentrale im Herzen Beiruts. Das Taxi bewegt sich im dichten Verkehr nur langsam vorwärts, und der Fahrer hebt zum Hupkonzert und Fluchen auf Hariri an. An manchen Stellen der Stadt sind ganze Straßen gesperrt. Hier will man eine Straße verbreitern, dort eine neue bauen oder Abwasserrohre verlegen. Doch die Bewohner Beiruts zeigen nicht immer Zufriedenheit ob der neuen Projekte. „Nur die Reichen profitieren vom Aufbau“, wettert der Taxifahrer. „Das Leben ist teurer geworden. Die größten Probleme – Arbeitslosigkeit, mangelnde Ausbildung und schlechte Gesundheitsversorgung – werden ignoriert. Sieh dir nur dieses neue Gebäude an: Eine Eigentumswohnung darin kostet Hunderttausende von Dollars. Wer kann sich das schon leisten?“
Der „Hoffnungsträger“ Hariri hat seine Landsleute tief enttäuscht. Als er zum Premierminister bestimmt wurde, hofften viele Libanesen, daß der aus einer armen Familie stammende Politiker ihr „Retter“ sein würde. Hariris Lebenslauf entspricht dem Traum der Armen: Mitte der sechziger Jahre mußte er sich das Geld für ein Flugticket leihen, um nach Saudi-Arabien auswandern zu können. Dort befreundete er sich mit den Söhnen der königlichen Familie; vor allem mit dem heutigen König Fahd. Nach weniger als zwei Jahrzehnten kehrte er mit einem Besitz zurück, der auf sieben bis zwölf Milliarden Dollar geschätzt wurde. Mit großzügigen Finanzhilfen für ärmere Familien und anderen wohltätigen Projekten gewann sich Hariri den Titel „Vater der Armen“ und begann seine politische Karriere. Heute fühlen sich seine Anhänger betrogen.
Das Taxi fährt durch die Straßen des Zentrums. Die Bombenlöcher in vielen Gebäuden wirken wie Zeugen des Bürgerkriegs, der die „Perle des Orients“, wie Beirut einmal genannt wurde, in ein Trümmerfeld verwandelte. Inmitten der Ruinen fällt der Blick auf Plakate, die farbenprächtig das Beirut der Zukunft zeigen. Sie sind Teil der „Solidar“-Werbekampagne, die nach Angaben des Unternehmens mehr als 40 Millionen Dollar verschlingt. „Sieh mal, hier war das Rivoli-Kino – ein schönes altes Gebäude. Hier habe ich als junger Mann gute Zeiten verbracht“, schwärmt der Taxifahrer. Der Ort, auf den er deutet, ist leer.
„Das Gebäude war im Krieg schwer beschädigt worden, und Hariri hat es abreißen lassen“, sagt er mit bitterer Stimme. Viele Libanesen fürchten, daß das Zentrum ihrer Stadt nie wieder wie früher aussehen wird. Die Bilder des neuen Zentrums zeigen riesige Betonburgen und gläserne Kommerztürme. Breite Straßen und elegante Fußgängerpromenaden mit luxeriösen Geschäften schweben den Planern vor. „Dieses Beirut wäre dann nicht mehr das unsrige“, seufzt der Taxichauffeur.
Trotz meiner Pünklichkeit läßt man mich bei „Solidar“ Stunden warten. Monsieur Fayed, Pressesprecher des Unternehmens, ist zu einer Sitzung mit dem Direktor. Ein elegant gekleideter Dienstmann serviert derweil eine Tasse Kaffee. 40 Millionen Dollar hat die Einrichtung dieser hochentwickelten Technologie-Oase mitten in der Trümmerwüste gekostet.
Endlich eilt Monsieur Fayed auf mich zu; nervös und betrübt, denn ein Journalist hat etwas Negatives über die „Solidar“ geschrieben. Er beauftragt seine Sekretärin, diesen Kerl ausfindig zu machen, um ihm zu sagen, Monsieur Fayed wolle ihn sprechen. Auf meine Fragen zeigt er sich ungeduldig. Vorwürfe gegen die „Solidar“ und deren größten Aktionär, Hariri, weist er vehement zurück. Die Kritiker seiner Gesellschaft bezeichnet Fayed als „Politiker mit opportunistischen Interessen, die den Wiederaufbau des Landes verhindern wollen“. Er erklärt, daß der Aufbau des Zentrums 25 Jahre in Anspruch nehmen wird und 15.000 Arbeitsplätze schaffen soll. „Wir versuchen möglichst alle Stätten mit historischer und kultureller Bedeutung zu bewahren.“ Auf die Nachfrage, warum der Wiederaufbau denn so lange dauern wird, antwortete er, daß dies durch die Nachfrage bestimmt werde. „Wir können keine Gebäude und Verkaufszentren bauen, für die es keine Käufer gibt.“
Ein Beiruter Politologe, der aus Angst vor Konflikten mit den Mächtigen anonym bleiben möchte, erklärt, daß gesellschaftliche und kulturelle Aspekte in den Aufbau- und Entwicklungsplänen Hariris völlig außer Acht gelassen worden sind. „In den Plänen findet sich nichts über eine Entwicklung der Industrie und der Landwirtschaft. Kein sozialer Wohnungsbau. Hariri will aus dem Libanon ein Paradies für die Reichen machen.“ Der Politologe kritisiert auch, daß die Größenordnung der meisten Wiederaufbauprojekte übertrieben ist. „500 Millionen Dollar für den Flughafen mit sechs Millionen Passagieren – ich glaube nicht, daß wir einen so großen Flughafen benötigen. Eine Milliarde Dollar für einen neuen Autobahnring rund um Beirut. Die Priorität jedoch müßte bei der Straßenreparatur und dem Neubau von Straßen in den Armenvierteln liegen.“
Der Kritiker befürchtet, daß es zur Verschuldung des Landes kommen wird. „Als Hariri an die Macht kam, lagen unsere Schulden bei 600 Millionen Dollar. Heute weiß niemand mehr genau, wie hoch die Verschuldung geklettert ist. Einige Quellen sprechen von sieben Milliarden, andere von neun. Für den Ministerpräsidenten besteht die größte Gefahr darin, daß alle Projekte an ihm persönlich hängen. Das ist ein eigenartiges Phänomen. Aufgrund seines Reichtums und seiner wirtschaftlichen Macht sind viele Projekte, aber auch der Wert unserer Währung von ihm abhängig. Wenn Hariri etwas zustößt oder wenn er plötzlich stirbt, bedeutet das für den Libanon den Ruin.“
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