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Die einfältige Brustbehaarung

■ Goethe meets Udo Jürgens: „Clavigo“ auf dummdeutsch im Theater Bremerhaven

Hat Goethe an einen Schlager-Fuzzi gedacht, als er mit 25 Jahren in wenigen Tagen „Clavigo“ niederschrieb? In dem Trauerspiel schwankt ein ehrgeiziger und talentierter junger Mann zwischen der abgehobenen Bahn des Genies und dem engumgrenzten Gehege des kleinen Ehe-Glücks. Freund Carlos rät ihm zur Größe. Weil der „außerordentliche Mensch“ andere Pflichten habe als der gewöhnliche, soll Clavigo seine Ex-Freundin Marie, „die trippelnde, kleine, hohläugige Französin“, einfach vergessen. Maries empörter Bruder Beaumarchais kämpft um die Ehre der verratenen Schwester und zwingt Clavigo ein schriftliches Schuldbekenntnis ab. „Es ist nichts erbärmlicheres auf der Welt, als ein unentschlossener Mensch zwischen zwischen zwei Empfindungen“, klagt Carlos.

Aber davon ist im Großen Haus des Bremerhavener Stadttheaters nichts zu sehen. Aus einer empfindlich zerrissenen Seele macht Regisseur Markus Lachmann eine langweilige Karikatur. Wolfram Rupperti als Clavigo mimt einen schmierigen Euro-Rock-Star (er singt deutsch-französisch-englisch), er reckt, schüttelt, streckt sich und krabbelt auf einer Showtreppe, die im nackten Bühnenraum steht, mal auf- mal abwärts.

Goethes höhere Einsichten trägt der trivialisierte Clavigo im Udo-Jürgens-Stil mit Klavierbegleitung vor. Um die Szene zu beleben, tänzeln acht junge Männer in knappen Kostümen schwerfällig um ihn herum, während der ewige Nebel die Bühne diskomäßig einlullt. Der zum Poseur plattgewalzte Clavigo tritt derart dümmlich auf, daß am Gemütszustand der armen Marie (Antonia Gottwald) gezweifelt werden darf. Was bindet sie bloß an dieses Würstchen? Sind es etwa nur die Haare auf seiner Brust, die er während der umnebelten Showeinlagen immer offener zeigen darf?

Oder ist es die Tatsache, daß er gut zu fechten versteht? Zwei in die Länge gezogene Kampfszenen gehören zu den sportlichen Augenfreuden dieser Inszenierung, die unentschlossen zwischen Kitsch und Sentiment, zwischen Trash und Trauerspiel schwankt. Die schöne Marie (auf der Vorderbühne in einem 50er-Jahre-Zimmer eingesperrt) macht zu allem und jedem ein gleich trauriges Gesicht. Nach langen eineinhalb Stunden ist sie mit ihrem treulosen Clavigo im Tode vereint, und wir sind endlich erlöst. Was ist passiert? Markus Lachmann nimmt „Clavigo“ als schlichte Moral-Epistel: Die verlassene Frau ist eine einfältige Anmut, der Mann ein Lackaffe. Ein Regisseur ist Goethe in die Falle gegangen. Sie hat zugeschnappt, das Ergebnis schmerzt.

Hans Happel

Weitere Aufführungen: 29.3., 1., 14., 21., 23., 27.4. und 2.5.

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