: „Hier kommt viel Neues an die Öffentlichkeit“
■ Einundzwanzig Ausstellungen über die Alltagsgeschichte im und nach dem Krieg
21 Ausstellungen plus eine Zusammenschau, wer soll sich denn das alles anschauen?! Was auf den ersten Blick erschlagend wirkt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als höchst sinnvolles Gemeinschaftsprojekt der 21 bezirklichen Heimatmuseen zum Thema „50 Jahre Kriegsende“. Um so nahe wie möglich an die gelebte Alltagsgeschichte heranzukommen, präsentiert vom Frühjahr 1995 bis zum Frühjahr 1996 jedes Museum seine eigene Ausstellung mit eigenen Schwerpunkten und Dokumenten von dort wohnenden ZeitzeugInnen. Diese Spurensuche abseits der großen Geschichte, da ist sich Udo Gößwald vom Heimatmuseum Neukölln sicher, werde „sehr viel Neues ans Licht der Öffentlichkeit“ bringen.
Fünf Themenschwerpunkte werden in den dezentralen Ausstellungen besonders berücksichtigt. Erstens geht es um die Rückkehr zur Normalität, die in Friedrichshain, Köpenick, Weißensee, Hellersdorf, Tiergarten und Neukölln dokumentiert werden soll. „Ausgangspunkt Chaos“ heißt beispielsweise die Exposition in Friedrichshain, in der 250 Dokumente über das damalige Alltagsüberleben präsentiert werden.
Zweitens geht es – in den Museen von Lichtenberg, Wedding, Treptow und Spandau – um besondere Orte des Kriegsgeschehens. In Karlshorst im Bezirk Lichtenberg unterzeichneten dort die Vertreter der Wehrmacht die bedingungslose Kapitulation. Ein besonderer Ort im Wedding ist der Bunker im Humboldthain, der den Nazis als letzte Verteidigungslinie diente und auch heute noch ein Neonazi- Treffpunkt ist. Militärisch wichtig war auch die Zitadelle Spandau, in der chemische Kampfstoffe hergestellt wurden.
Drittens steht Das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Besatzungsmächten im Mittelpunkt verschiedener Ausstellungen – in Reinickendorf geht es um die Franzosen, in Marzahn und Hohenschönhausen um die Rote Armee. Das Charlottenburger Museum widmet sich einem besonders heiklen Thema: „Worüber kaum gesprochen wurde – Frauen und Alliierte Soldaten“. Die einen wurden vergewaltigt, die anderen gingen Sex- Verhältnisse mit Soldaten ein, um sich und ihre Kinder vor Hunger zu schützen. Ein Workshop mit Helke Sander zu ihrem Film „Befreier und Befreite“ ergänzt die Ausstellung.
Viertens soll es um die Verlorene Heimat gehen. Im Prenzlauer Berg werden die Schicksale jüdischer Familien dokumentiert, in Kreuzberg der „Treck nach Westen. Flucht und Vertreibung aus und nach Schlesien.“
Der fünfte und letzte Schwerpunkt heißt Kultur in Trümmern. In Wilmersdorf, Steglitz, Pankow und Mitte wird daran erinnert, wie schnell es im zerstörten Berlin gelungen ist, wieder ein Kulturprogramm aus dem Nichts zu stampfen. Und wem das alles zu viel ist, der kann die fünf Themen im Schnelldurchgang absolvieren, indem er die Zusammenschau der 21 Ausstellungen in der ehemaligen Staatlichen Kunsthalle besucht. Sie wird am 10. April eröffnet. Ute Scheub
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