piwik no script img

Kirchenasyl konform mit Rechtsstaat -betr.: Kirchenasyl ist "ziviler Ungehorsam", taz vom 14.3.95

Betr.: Kirchenasyl ist „ziviler Ungehorsam“ v. 14.3.

Sie berichten, daß sich nach Auffassung des Oberstaatsanwaltes von Bock und Polach derjenige „prinzipiell strafbar“ mache, wer Kirchenasyl vorbereite.

In einem im „Materialdienst Asyl“ vom Januar 1995 abgedruckten Aufsatz des Richters am Bundesgerichtshof Dr. Joachim Wenzel heißt es zur Frage „'Kirchenasyl–als Widerstand?“: „Wenn Mitglieder einer Kirchengemeinde Asylbewerber zur Vermeidung einer im Falle der Abschiebung drohenden menschenunwürdigen Behandlung in kirchlichen Räumen aufnehmen, so geschieht dies in Ausübung des auch der Kirche zustehenden Hausrechts und des Rechts auf Hospitalität.

Darin unterschiedslos und von vornherein einen Rechtsbruch in Gestalt der Beihilfe zu einem Vergehen gegen das Ausländergesetz zu sehen, wird vom Wortlaut und Zweck der in erster Linie gegen sogenannte Schlepper gerichteten Strafnorm des Paragraphen 92, Abs. 2 Ausländergesetz nicht gedeckt. Durch die – offene – Aufnahme von Ausländern in kirchlichen Räumen werden diese dem staatlichen Zugriff nicht entzogen... Niemand ist verpflichtet, einen solchen Menschen vor seiner Tür stehen zu lassen oder wieder vor die Tür zu setzen, am wenigsten die Kirche.

Sie hat selbst bei Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung, daß die Abschiebung zulässig ist, das Recht, sich seiner anzunehmen und sich als Fürsprecherin, gegebenenfalls im Wege der Gegenvorstellung gegen einen bereits ergangenen ablehnenden Bescheid, an die oberste Landesbehörde mit dem Ziel zu wenden, eine Aussetzung der Abschiebung zu erreichen (Par. 55 Abs. 4, Par. 54 Auslg.) Erst wenn auch diese Möglichkeit ausgeschöpft ist und/oder der Ausländer vor dem polizeilichen Zugriff versteckt wird, kann der legale ,kleine Widerstand–in ,zivilen Ungehorsam– umschlagen. Halten Christen diesen Schritt nach gewissenhafter Prüfung aller Umstände für erforderlich, um einen zur Abschiebung anstehenden Asylbewerber vor menschenunwürdiger Behandlung in seinem Heimatland zu bewahren, nehmen sie um ihrer Selbstbestimmung wegen, sich für Schutzbedürftige einzusetzen, den begrenzten Gesetzesverstoß in Kauf. Der Rechtsstaat wird dadurch nicht in Frage gestellt. Der Ungehorsam erfolgt nicht des persönlichen Vorteils wegen, sondern um einer ,besseren' Gerechtigkeit willen. Was immer wir hierüber in Geschichte, Gegenwart und Zukunft denken und formulieren – es bleibt ein Thema von Recht und Gewissen, von Unrecht und Widerstehen und damit letztlich. nur eine Variation zum Gebot der Nächstenliebe.“

Soweit der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Wenzel. Folgt man dieser Rechtsauffassung, ist weder die Vorbereitung noch die Durchführung eines Kirchenasyls strafbar, solange den Behörden prinzipiell ein Zugriff auf den Flüchtling möglich ist. Dieser ist auch dann möglich, wenn es sich bei dem Kirchenasyl um ein ,öffentliches Verstecken–des von Abschiebung bedrohten Flüchtlings handelt. Wenn die Behörden den Schutzraum der Kirche achten, kann sich daraus keine Strafbarkeit für die UnterstützerInnen des Kirchenasyls ergeben.

Sind Fehler im Asylverfahren passiert, kann der Schutz der Kirche die letzte Möglichkeit sein, eine erneute Prüfung möglicher Gefahren zu erreichen.

Kirchenasyl stellt nicht den Rechtsstaat in Frage, sondern kann dazu beitragen, daß Recht und Gerechtigkeit zur Geltung kommen. Die syrische Familie Hanna aus Bremen-Grohn und viele andere, die erst nach einem Kirchenasyl staatlich anerkannten Schutz vor Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen gefunden haben, sind hierfür deutliche Beispiele.

Bernd Tobiassen, Koordinationsstelle für Flüchtlingssozialarbeit an der Uni Oldenburg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen