: Der homosexuelle Mann ... Von Elmar Kraushaar
... haßt seine Minderheiten. Zunächst war die Tunte dran. Allzeit bereit, jedes Vorurteil zu bestätigen, schadete sie dem guten Ruf der ganzen Gemeinde und behinderte den Wunsch nach Anpassung und Toleranz. Das ist vorbei, seit Mary von Zentis sich erfolgreich als Pausenclown etabliert hat, und der CSD im Frühsommer als Faschingsersatz gefeiert wird.
Jetzt sind die Pädos an der Reihe, jene Männer, die Knaben lieben, solange sie noch Knaben sind. Noch keine 20 Jahre her, da gehörten sie wie selbstverständlich zur großen Gemeinschaft der Perversen, und voll Stolz verwies man auf die prominenten Ahnen aus der Minderheit in der Minderheit. Da sprach man noch mit leuchtenden Augen von dem zehnjährigen „Kleinen Teufel“, den sich Leonardo da Vinci ins Haus holte, oder von dem 14jährigen Tunesier, der André Gide die Unschuld nahm.
Diese Zeiten sind vorbei. Was die Feministinnen nicht schafften und auch nicht die Debatte um „sexuellen Mißbrauch“, das haben endlich die stramm Konservativen erreicht: Der gewöhnliche Homosexuelle will mit den Kinderfickern nichts mehr gemein haben.
Alles begann damit, daß 1993 der christliche US-Fundi Peter LaBarbera den weltweiten Dachverband von Lesben- und Schwulenorganisationen, ILGA, öffentlich anschwärzte, drei Pädogruppen in ihren Reihen zu dulden. Das brachte Schlagzeilen in god's own country, und die USA forderten die UNO auf, sich von der ILGA zu trennen, die kurz zuvor einen Beraterstatus in der UN-Unterorganisation ECOSOC erhalten hatte. Die ILGA kam dem Ausschluß zuvor und strich auf ihrer letzten Jahreskonferenz die Mißliebigen aus ihrer Mitgliederliste. Besonders taten sich beim Rausschmiß die VertreterInnen just jener skandinavischen Organisationen hervor, die gerade in ihren Ländern das hohe Ziel der neunziger Jahre, die Homo-Ehe, durchgesetzt hatten. Auch der „Schwulenverband in Deutschland“, SVD, setzte sich engagiert für die sofortige Trennung ein.
Doch Washington gab keine Ruhe. Aufgrund einer anonymen Denunziation, wonach die ILGA noch immer eine deutsche Pädogruppe in ihren Listen führe, setzten die USA im September letzten Jahres die Suspendierung des ILGA-Beraterstatus durch. Drahtzieher war diesmal der ultrarechte republikanische US-Senator Jesse Helms.
Seitdem rödelt es heftig in der organisierten Bewegung. Der VSG aus München, eine der ältesten deutschen Schwulengruppen, muß sich nun als neuer Stein des Anstoßes gegen den Pädo-Verdacht wehren. In den übrigen Gruppen steht seit Monaten die Pädo-Frage ganz oben auf der Tagesordnung, und die Vereinsmeierei gerät in Hektik. Der SVD hat sich entschieden und verweigert dem VSG seine Solidarität, ebenso die schwulen Christen der HuK. Und der Berliner Traditionsverein AHA verabschiedete am vergangenen Sonntag eine De-facto- Nichtvereinbarungsklausel für sein neues Grundsatzprogramm.
Die Epressung der Rechten zündet allerorten, und Ausschluß und „Nichtbefassung“ treten an die Stelle von politischer Auseinandersetzung. Für den Eintritt ins Establishment wird bar bezahlt. Wer wird nach den Pädos als nächster dran sein?
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