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Mit Öko-Ketchup ins Berufsleben

Gemeinnützige Frauen-Beschäftigungsgesellschaft in Frankfurt bietet Orientierung für Langzeitarbeitslose  ■ Von Heide Platen

Im Speisesaal hängt ein Schild an der Wand: „Bei uns bekommt ihr garantiert kein Schweinefleisch.“ In der Paul- Hindemith-Schule im Frankfurter Arbeiterviertel Gallus essen die SchülerInnen für 4,50 Mark ein komplettes Mittagessen mit Nachtisch. Projektleiterin Barbara Leber von der Gemeinnützigen Frankfurter Frauen-Beschäftigungsgesellschaft (GFFB) weiß aus Erfahrung: „Vollwertkost, das hört sich so gesund an. Das mögen die nicht so gern.“ Es gibt sie trotzdem.

Frau A. ist Küchenchefin bei der GFFB. Eine resolute Frau. Ehe sie hier anfing, war sie als Langzeitarbeitslose eingestuft. Nun bereitet sie außer dem Essen hausgemachte Kuchen und Süßspeisen, die es zusätzlich statt der gewohnten Sweeties am Schul-Kiosk gibt. Sie sind mit Honig statt mit Zucker gesüßt. Frau A.: „Das fanden die Kinder anfangs nicht so gut. Aber sie haben sich daran gewöhnt.“

Die Kinder, die über das ungewohnte Angebot maulten, dürfen beim Speisezettel mitreden. Als Zugeständnis gibt es nun einmal in der Woche ein Fleisch-, einmal ein süßes Gericht, die Zutaten werden aus biologischem Anbau bezogen. Die Schülervertretung hat den Wunsch nach Frikadellen angemeldet. Die stehen nun in vegetarischer Variante zur Probe an. Das Ketchup wird selbst gemacht. Nur für die begehrten Fischstäbchen ist bisher noch kein äquivalentes Rezept gefunden worden. Barbara Leber: „Die kriegen wir mit frischem Fisch nicht in die richtige Form.“

Die „Paul Hindemith“ ist eine Gesamt- und Ganztagsschule für rund 700 SchülerInnen. Das Hauptgebäude ist kahl und betonhäßlich, ein Ort, der Aggressionen schaffen könnte. Annette Wippermann, Geschäftsführerin der GFFB, hat andere Erfahrungen: „Das liegt daran, daß die Lehrer hier sehr engagiert sind.“

Und vielleicht auch eben daran, daß die Küche seit einigen Wochen mittags nicht mehr kalt bleibt. Zwei Mädchen, die nach Bons anstehen, sehen das so: „Beim Essen, da rennen wir nicht einfach draußen rum und reden auch mehr miteinander.“

Die GFFB ist ein Projekt, das unter der Regie des Frankfurter Frauendezernats von Arbeitsamt, Europäischem Sozialfonds und der Stadt finanziert wird, aber als eigene Firma auch einen Teil der Kosten selber erwirtschaften muß. Sie soll rund 100 Frauen einen Neueinstieg an das Berufsleben ermöglichen und bietet, anders als die freie Wirtschaft, befristete Stellen an, die auf den Alltag der Frauen zugeschnitten sind und es auch alleinerziehenden Müttern ermöglichen, in Teilzeit zu arbeiten.

Die Langzeitarbeitslosigkeit in den alten Bundesländern hat sich innerhalb des letzten Jahres von 27 auf 31 Prozent der Arbeitslosen erhöht. Die meisten von ihnen sind älter als 45 Jahre, 13 Prozent über 55 Jahre alt. Die hessische Frauenministerin Ilse Stiewitt (SPD) vermutet außerdem eine Dunkelziffer bei Frauen, die sich gar nicht erst gemeldet haben.

Daß auch Akademikerinnen betroffen sind, stellte Wippermann fest, als sie arbeitslose Sozialpädagoginnen suchte: „Ich habe nicht damit gerechnet, daß sich so viele Frauen melden würden. Das sind meist alleinerziehende Mütter.“ Sie betreuen jetzt Schulkinder. Sie fand dabei auch – eigentlich überqualifiziert – eine Kindertherapeutin aus dem Iran, die hier als ungelernt gilt und ausgebildete Lehrerinnen aus der ehemaligen Sowjetunion.

Weitere Projekte der GFFB sind ein mobiler Spieldienst für Krankenhäuser, Tagesmütter, Alten- und Krankenpflege, ein Veranstaltungsbüro und, für den Bürobereich, eine Informations- und Dokumentationsstelle, die zum Beispiel Archivarbeiten für gemeinnützige Organisationen anbietet.

Das hilft dem Selbstwertgefühl gerade älterer Frauen, die eigentlich arbeiten wollen und sich abgeschoben und nutzlos fühlen. Die Frauen bekommen durch die Beschäftigung „wieder Grund unter den Füßen. Sich aus der Arbeitslosigkeit zu bewerben ist ungleich schwerer.“ Dazu kommt oft eine materielle Entlastung. Verschuldungen in der Arbeitslosigkeit entstehen sowohl aus Geldmangel als auch aus dem Wunsch nach „dem ganz normalen Konsum“.

In der Hindemith-Schule gibt es an diesem Tag Geflügelbratwurst mit Broccoli und Kartoffelbrei. Der Broccoli sei, bemerkt Barbara Leber kritisch, ein wenig zu weich geraten, „trotz Umluftherd“. Dafür ist der Kartoffelbrei, sonst einer der Schrecken von Kantinenessen, eine milchig-lockere Angelegenheit. Frau A.: „Bei uns wird eben mit Liebe gekocht.“

Daß das Schulessen für manche Kinder an der Schule, an der erst jüngst ein Fall von Unterernährung registriert wurde, noch zu teuer ist, ist ein anderes Problem. Barbara Leber, die die Mittagsversorgung inzwischen für drei Schulen, ein Jugendzentrum und eine Spielstube aufbaute und demnächst für zwei Kindergärten einrichten wird, träumt von weiteren Schritten. Ungenutzte Räume könnten, meint sie, zum „generationsübergreifenden Mittagstisch“ nicht nur für Kinder, sondern auch für alte Menschen werden. Das könnte das anonyme „Essen auf Rädern“ ersetzen.

Die sechs Frauen, die hier arbeiten, lernen nicht nur kochen, sondern machen auch Praktika in Betriebskantinen, lernen Einkauf, Planung, Kalkulation, Fachrechnen, Nahrungsmittelkunde. Und sie müssen sich in so deutschen Spezialitäten wie der Hackfleischverordnung und den Hygienevorschriften des Gesundheitsamtes für Großküchen auskennen.

Einige von ihnen sind eigentlich überqualifiziert, aber froh, eine Stelle gefunden zu haben. Die erste konnte schon in einen anderen festen Arbeitsplatz vermittelt werden. Annette Wippermann freut sich über „Engagement und Ausdauer“ der Frauen, die schlechter bezaht werden als auf dem ersten Arbeitsmarkt, aber trotzdem dabeibleiben. „Wenn Frauen“, meint sie, „sich einmal für etwas entschieden haben, dann machen sie es richtig.“

Kritik daran, daß die GFFB „nur die klassischen Frauenberufe“ aufbaute, ist Annette Wippermann inzwischen gewöhnt. Ihr geht es um Frauen, die keine Chance für eine Ausbildung hatten, weil sie zum Beispiel in der Fabrik arbeiteten, dazu den Haushalt und Kinder versorgten: „An deren private Qualifikation wollten wir anknüpfen. Die können nämlich gut organisieren und planen, sonst hätten sie das gar nicht geschafft.“

Aber auch ihre Phantasie geht weiter. Mit dem Naturschutzbund könnten Bio-Gärten für Krankenhäuser angelegt werden, es könnten auch qualifizierende Abschlüsse als Altenpflegerinnen erworben werden. Für all dies aber, so Wippermann, brauche es vorher eine genaue Analyse von Interesse, Bedarf und Kosten.

Am Anfang der Frankfurter Einkaufsmeile Zeil hat seit Januar das GFFB-Projekt „Der Rote Faden“ geöffnet. Dazu gehört eine Nähstube, die Abhilfe schafft, wenn das Kleid über dem Bauch spannt und am Busen auseinanderklafft. In der Nähstube türmen sich die Kleiderberge. Die Spenden sind, sagt Projektleiterin Heide Wahrlich, „zur Zeit überreichlich“. Sie müssen gewaschen, ihre Materialien bestimmt und sortiert werden.

Eine junge Frau säumt einen Angorapullover, aus dem ein Jäckchen werden soll, eine flusige und fitzelige Aufgabe. Wahrlich hat vor langen Jahren selbst Schneiderin gelernt und einen strengen Blick auf jede Naht: „Wenn sie das paspeln kann, dann kommt sie später mit allen Paspeln klar.“

Für die jungen Frauen im „Roten Faden“ ist die Situation ein wenig paradox. Sie verstehen sich zu Recht nicht als „Langzeitarbeitslose“, finden diese Einordnung diskriminierend. Geschäftsführerin Annette Wippermann weiß, daß „Langzeitarbeitslosigkeit ein schwieriger Begriff ist“. Schon eine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit von einem Jahr gelte auf dem Arbeitsamt als „Vermittlungshemmnis“. Das ist gerade für junge Frauen schwer zu verkraften.

Sie haben, versichern sie alle, gearbeitet, einige unter sehr harten Bedingungen. Falsche Beratung, Firmenpleiten, Rationalisierungen, Umzug der Familie brachten sie zum Arbeitsamt. Gegen allzu große Öffentlichkeit sind sie empfindlich geworden, denn das Etikett „Langzeitarbeitslosigkeit“ ist auf sie, schon vom Lebenslalter her, nicht zugeschnitten.

Auch im „Roten Faden“ wird nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch gedacht. Die Alternative heißt „Kürzen, Verlängern, Erweitern, Knöpfe versetzen, Aufpeppen“. Das, sagen schließlich engegagierte ÖkologInnen schon lange, ist allemal besser als Wegwerfen. Das einfache Annähen eines Knopfes kostet 50 Pfennig, ein komplettes neues Mantelfutter ohne Material 50 Mark. Auf Kommission wird nichts genommen.

Die Kleidung aus zweiter Hand soll – repariert, modisch umgearbeitet – zu erschwinglichen Preisen ebenso an Kundinnen verkauft werden, die sich das sonst nicht leisten können, wie an solche, die etwas Ausgefallenes suchen. Die hellen Räume mit Kleiderständern, Spiegeln, Stecknadeln, Diskussionen über eine Rocklänge erinnern ein bißchen an einen Modesalon der 20er Jahre.

Secondhand, hat Heide Wahrlich festgestellt, wird bei der Bevölkerung immer mehr akzeptiert. Das „Igitt“ vor gebrauchter Kleidung ist keine Hemmschwelle mehr. Nur, stellte sie fest, seien es bisher gerade nicht die Kundinnen, „die auf einen billigen Einkauf angewiesen sind“, die in den Laden einkaufen kommen. Die nämlich haben noch eine besondere Abwehr gegen Gebrauchtes und erstehen im Kaufhaus lieber zwar neue, jedoch qualitativ schlechte Billigimportware.

Gerade darum legt Annette Wippermann Wert auf eine hohe Qualität der Ausbildung. Sie hat sich auf der Suche nach dem „Rohmaterial“ an Banken, Versicherungen und Großunternehmen gewandt, bei denen repräsentative Kleidung und deren ständiger Wechsel zum Image gehören. Deren Angestellte sind nicht nur als SpenderInnen willkommen, sondern sie können sich hier auch ihren teuren Zwirn modisch umarbeiten lassen.

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