: Unorte: Treibhäuser Von Claudia Kohlhase
Ein Treibhaus treibt seltsame Blüten. Und obwohl es treibt wie Harry, weiß es nicht wirklich, warum oder wohin damit. Vermutlich wieder wegen uns, dabei sind wir Dilettanten im Betrachten von Azaleenbäumen oder -kugeln, speziell in Schmucktreibhäusern, die Azaleenmuseum heißen. Gesetzt den Fall, wir sind ein älteres Ehepaar, geht's ja noch: wir tragen winterharte Kleidung und treten leise auf, damit keine Blätter fallen. Nachher hat der Gärtner alles gesehen, und dann setzt's was.
Als Mann im gestandenen Mittelalter fotografieren wir, als Frau halten wir solange die Gore-Tex- Jacke. Komischerweise regnet es in Treibhäusern aber nie, sowie wir in Treibhäusern auch über nichts informiert werden, was uns interessieren könnte, außer über die Tatsache, daß hier etwas wächst und aussieht, und zwar und wie! Manchen reicht so was an Information, und sie merken sich dazu extra nichts und gehen ihrer Wege. Dabei gibt es hier gar keine Wege, sondern man wird freundlicherweise durchgelassen. Zwar auf asphaltierte Weise, was den Dschungelwert etwas mindert, aber ab und zu hängen einem doch absichtlich sagenhafte Zweige ins Gesicht: von denen sich Schnelläufer gepeitscht fühlen können und dann zum Dschungel- noch das Feindgefühl erhalten wie vielleicht jemand, der gerade den Rhododendron und nebenbei noch Indien und die Indianer entdeckt.
So ähnliche Dinge stehen in Treibhäusern auf Schreibtafeln, und wir glauben alles, weil es ja mit rechten Dingen zugeht, wo es so schön ist. Und derartig naturbelassen naturgewachsen. Und so umsonst übrigens. Leider müssen die Hunde draußen bleiben, die das aber nicht so schwer nehmen.
Es gibt im Treibhaus, ehrlich, Azaleen, die Otto heißen, aber auch genausogut Marianne. Hier stecken Zucht, Züchter und Gedenksymbolik dahinter, was man verstehen sollte. Wer keinen Zuchterfolg bei Azaleen vorweisen kann, muß aber nicht gleich den Kopf in den Sand stecken, sondern kann eine Bank stiften, was enorm quittiert wird, sogar von jungen Leuten. Derart verändern sich vermutlich die Zeiten, daß junge Leute heute nicht mehr auf Straßen staubig rumrevolutionieren, sondern ins Treibhaus gehen und dem Treiben zusehen. Fertig ist die Laube, und man muß nicht dauernd selbst über alles hinauswachsen.
Reden muß man im Grunde auch nicht, jedenfalls nicht über Bandscheibenvorfälle, Blinddarmdurchbrüche, Bindehautentzündungen oder Kröpfe. Das paßt ja doch nicht hierher, solche Widrig- und Modrigkeiten. Eigentlich paßt gar nichts, außer schweigen, um die Luft nicht zu sehr zu belasten. Und natürlich soll man Staunässe vermeiden, außer, wo Staunässe ausdrücklich verlangt wird. Schließlich sind wir hier, wenn auch nicht in der Kirche, so doch zur Anbetung versammelt. Zur Anbetung der gesunden Pflanze sowie der pflanzlichen Gesundheit und ihrer penetranten Möglichkeit. Oder sah hier irgend jemand ein müdes Blatt oder einen Käfer, vielleicht sogar tot?
Nein, i wo, hier ist alles eitel vorhanden und ist und ist, und man kann sich leicht ausrechnen, daß es auch noch so sein wird, wenn nichts mehr ist, geschweige denn sein wird. Das wäre dann die Zeit, wo man ein Treibhaus gut gebrauchen könnte. Aber warum jetzt?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen