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Folter in den Gefängnissen

■ Zwei türkische Menschenrechtlerinnen berichten im Bürgerhaus Weserterrassen

In den vergangenen zwei Jahren wurden in der Türkei 67 AnwältInnen verhaftet, weil sie sich für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzten. Fünf von ihnen wurden entführt, gefoltert und schließlich ermordet aufgefunden. Meryem Erdal, Rechtsanwältin in Ankara, riskiert viel, wenn sie heute abend im Bürgerhaus Weserterrassen über das Thema „Verfolgung von Rechtsanwälten in der Türkei / Vergewaltigung von Männern und Frauen in Haft“ spricht. Es sei durchaus möglich, daß sie und ihre Begleiterin Nacye Erkol nach ihrer Rückkehr in die Türkei verhaftet werden.

Die ehemalige Lehrerin Nacye Erkol ist Vorsitzende des Menschenrechtsvereins in Ankara, der sich für die Gefangenen einzusetzen versucht. Sie weiß aus eigener Erfahrung, wie gefährlich ein politisches Engagement in der Türkei verbunden ist: Nachdem die Rektorin einer Mädchenberufschule Mitte der 80er Jahre in verschiedenen Lehrerverbänden aktiv gewesen war, hatte man ihr eine Bombe unter das Auto gelegt und ihre Kinder vorübergehend verhaftet. Daraufhin gründete sie 1986 den Menschenrechtsverein, der heute allein in Ankara 2400 Mitglieder hat und 54 Büros im ganzen Land. Seit 1995 ist der Verein Mitglied in der Internationalen Menschenrechtsföderation.

Meryem Erdal ist ebenfalls Vorstandsmitglied des Menschenrechtsvereins und Mitbegründerin des „Progressiven JuristInnenverbandes“. Auch sie wurde 1992 verhaftet und verbrachte 18 Stunden auf dem Polizeirevier, wo man sie schlug und folterte. In der vergangenen Woche gab die türkische Regierung mit einem Erlaß zum Entfernen der Foltergeräte erstmalig zu, daß in ihren Gefängnissen systematisch gefoltert wird. Daß damit die Arbeit der Menschenrechtsvereine nicht überflüssig geworden ist, beweist die polizeiliche Verfolgung aller sieben Vorstandsmitglieder in Diyarbakir: Fünf MenschenrechtlerInnen sitzen im Gefängnis, zwei konnten untertauchen und werden gesucht. Gegen sie soll, ebenso wie gegen einen ihrer Kollegen, der vor zwei Wochen bei den Newroz-Feierlichkeiten in Cirnak festgenommen wurde, der Prozeß eröffent werden. Die Vorwürfe sind immer dieselben: Verdacht auf Separatismus und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung.

Seitdem 1991 das Anti-Terrorismus-Gesetz erlassen wurde, reicht bereits das Lesen einer nicht-regierungsfreundlichen Zeitung aus, um mit dieser Anklage überzogen zu werden. Zur Zeit läuft nach offiziellen Angaben des Justizministeriums gegen etwa 15.000 Menschen der Prozeß. Rund ein Drittel von ihnen ist inhaftiert. Doch auch „schätzungsweise 90 Prozent“ derer, die man nur vorübergehend in Polizeigewahrsam nahm, wurden gefoltert, vergewaltigt oder sexuell genötigt, um ihnen entsprechende Aussagen abzupressen. Die Rechstanwältin Meryem Erdal ermittelte allein 48 Vergewaltigungsfälle: 35 Frauen, von denen 10 schwanger waren und ihr Kind durch die Vergewaltigung verloren. 13 Männer wurden mit Schlagknüppeln oder Flaschen vergewaltigt. In nur einem Fall konnte die Anwältin eine Entschädigungszahlung vom Staat erwirken, wobei jedoch die Täter unbestraft blieben. Diese genießen durch das Anti-Terror-Gesetz Immunität.

Die realen Verhaftetenzahlen liegen wahrscheinlich viel höher als die offiziell angegebenen. Allein im März 95 wurden 200 Personen in Ankara verhaftet, verurteilt wurden dagegen nur fünf. In den kurdischen Gebieten der Türkei sind die Gefängnisse überfüllt, daher wird dort nurmehr in Polizeigewahrsam genommen. Schätzungen zufolge wurden auf diese Weise 5 Millionen KurdInnen der Willkür staatlicher Gewalt ausgesetzt. Wenn der deutsche Bundesinnenminister Kanther die Abschiebung von KurdInnen aus Deutschland damit propagiert, es gebe dort keine Folter, so ist das für die beiden Menschenrechtlerinnen aus Ankara nicht nachzuvollziehen: „Es wird dort täglich verhaftet, verschleppt und getötet.“

Meryem Erdal und Nacye Erkol, die vom Dachverband der Ausländer-Kulturvereine in Bremen (DAB) und der Arbeitsgemeinschaft Ausländer- und Asylrecht im Bremischen Anwaltverein eingeladen worden sind, versprechen sich von ihrem Besuch, daß mehr Deutsche über die Lage der Menschenrechte in der Türkei informiert sind. „Die Menschenrechstkommissionen müssen sich zusammenschließen und koordinierter vorgehen“, mahnen sie, und an die deutsche Regierung gewandt: „Wenn Staaten zueinander in Beziehung treten, dann müssen, anders als bisher, die Menschenrechte geachtet werden und bei den Verhandlungen im Vordergrund stehen.“ Dora Hartmann

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