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Rot-grüner Architekturbaron

Richard Rogers – eine Monographie  ■ Von Till Briegleb

Alle Krisen des Königshauses und privaten Affären des Prince of Wales haben die Koalition zwischen dem Volk und His Royal Highness in einem Punkt nicht sprengen können: 75 Prozent der britischen Staatsbürger teilen Prince Charles' Verdikt, die zeitgenössische Architektur sei ein Karbunkel im Gesicht der englischen Städte. Will man in dieser Arena des Kampfes um die „richtige Architektur“ die Kontrahenten personalisieren, so steht dem königlichen Volkstribun der architektonische Verdienstadel gegenüber: nach dem Tod von James Stirling und der Zurückhaltung Norman Fosters insbesondere „Sir“ Richard Rogers. Diese zweifelhafte Ehre hat sich der inzwischen 61jährige durch sein spektakuläres anti- nostalgisches Lloyds-Gebäude im Herzen des Empire – neben dem Centre Pompidou Rogers' wohl berühmtestes Projekt – sowie einige Vorschläge zur Londoner Stadtplanung erworben, die teilweise durch die direkte Einflußnahme des vergangenheitsbesoffenen Thronfolgers zu Fall gebracht wurden.

Da es dem Prinzen und seiner Gefolgschaft wie allen Ideologen nur um ein äußeres Erscheinungsbild geht, eignet sich Rogers' Architektur natürlich hervorragend zu einer ressentimentgeschwängerten antimodernistischen Polemik. Seine expressive Verwendung neuer Werkstoffe und demonstrativer Designs sowie seine aus Louis Kahns „served-and-service-spaces“-Konzept entwickelte Verlagerung der Versorgungsbereiche auf die Außenhaut der Gebäude führen zu jener Gesamterscheinung, die sich über den Begriff „High-Tech-Architektur“ wunderbar als menschenfeindlicher Technikwahn denunzieren läßt.

Dabei tut man kaum einem Architekten mit dieser Konnotation mehr Unrecht als Richard Rogers. Bereits in den späten sechziger Jahren hat Rogers aus einer konstruktiven Kritik an der Moderne einige Axiome entwickelt, die in der internationalen Städtebaudiskussion erst in letzter Zeit die Weihen der zumindest intellektuellen Allgemeingültigkeit (beileibe nicht der praktischen) erlangt haben: Nutzungsmischung und öffentliche Räume als Grundvoraussetzung belebter Städte, energiesparendes und ökologisches Bauen als ständig optimierbares Konzept sowie die Abkehr vom Individualverkehr als Maß aller Verkehrsplanung.

In der ersten auf deutsch erschienenen Rogers-Monographie beschreibt jetzt der britische Architekturhistoriker Deyan Sudjic die Entwicklung von Rogers Prinzipien. Ab Rogers' Studienzeit und seinem ersten Büro gemeinsam mit Norman Foster (1963–67) verfolgt er dessen hindernisreichen Weg zum global denkenden Weltarchitekten, der in Asien und Europa eine Unzahl bedeutender Projekte gleichzeitig umsetzt. Die Projektliste nur der letzten Jahre reicht vom Entwurf eines neuen Shanghaier Stadtteils über Stadtplanungen für Berlin, Nantes, Nizza, Liverpool und London, Flughafenerweiterungen in Marseille und Heathrow, Hochhäuser in Tokio, London, Berlin und Lyon bis zu diversen kleineren Symbol-, Wohn- und Bürobauten, wie beispielsweise den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.

Doch der rot-grüne Architekturbaron – Rogers entwickelte im 92er-Wahlkampf für Labour die Grundzüge ihres Stadtentwicklungskonzepts – hat trotz des Milliardenumsatzes seines Büros weder seine linksliberalen Grundideen noch den Fortschrittsoptimismus verloren. Sein Augenmerk gilt nicht nur dem Fußgänger, dem Kunstsinnigen (der in seinen Bauten unschwer die Beeinflussung durch futuristische und konstruktivistische Architekturphantasien erkennt) und der ökologischen Balance. Gerade den „in einer feindseligen Umgebung umherirrenden Obdachlosen, Arbeitslosen und Schizophrenen“ hat Rogers, der Stadtplanung als bedeutendes soziales Instrument beurteilt und auch beherrscht, sein Credo gewidmet: „Das Problem ist nicht der Stil, sondern die Qualität, nicht die Ästhetik, sondern die Ethik.“

An diesem Konzept arbeitet Rogers auf zweierlei Wegen: Neben karitativen Spenden von jährlich etwa einer Million Mark versucht er in seinem Arbeitsfeld, seinen „Widerwillen gegen das gegenwärtige auf Ausbeutung beruhende ökonomische System“ durch die Entwicklung einer neuen, global orientierten ökologisch-sozialen Moderne in produktive Prozesse umzumünzen. Außerdem greift er in konkrete Prozesse ein und übernimmt die Anwaltschaft für all jene, die selbstherrliche Konzern-, Planer- oder Politikerentscheidungen zu erdulden haben. Dahinter steht ein unerschütterlicher Glaube an das Gute im Menschen und die positive Kraft technischer Innovation, der den Enkel des berühmten italienischen Architekten Ernesto Rogers 1990 zu dem emphatischen Satz verleitete: „Wir stehen möglicherweise am Beginn eines neuen, die ganze Welt umfassenden Zeitalters der Aufklärung.“ Einen Schatten auf Rogers helles Gemüt – zumindest im Vereinigten Königreich – dürften allerdings die „Zehn Grundregeln“ des britischen Infanten für einen „traditionsbewußten Städtebau“ aus demselben Jahr geworfen haben, die zunehmend zu ungeschriebenen Erlassen werden. Eine Kostprobe: „Wenn Bauten nebeneinander stehen, dann soll man Harmonie nur sehen.“ Betrachtet man den Sieg der „Preußen“ im Berliner Architektenstreit, dann muß man leider feststellen, daß der englische Thronfolger in der Welt der Architekturnostalgie nicht alleine wohnt. Einer der Leidtragenden dieser Evokation des Nationalen aus dem ewigen Stein war denn auch in Berlin selbstverständlich: Richard Rogers.

Deyan Sudjic: „Richard Rogers – Bauten und Projekte“, Verlag Ernst & Sohn, 160 Seiten mit 64 farbigen Abbildungen, 78 DM

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