: Lange Nacht in Horn
■ Kneipe darf nur bis 22 Uhr servieren / Prozeß
Es ist einer der wenigen schönen Sommertage in Bremen, Sie sitzen im Garten eines Lokals, es ist 22 Uhr. Da kommt der Wirt zu Ihnen, zieht Ihnen den Stuhl weg und fordert Sie auf zu gehen...
Der Besitzer der Gaststätte „Horner Journal“ mag seinen Gästen dies nicht zumuten und hat sich dafür im vergangenen Jahr einen Bußgeldbescheid über 2000 Mark eingehandelt, weil er „geduldet habe, daß im Sommer 1994 an 30 Tagen nach 22.00 Uhr noch Gäste bewirtet worden sind“. Durch den Einspruch des Wirts Seyed-Mohammad G. kam die Sache vor das Amtsgericht.
Und so zählt gestern der Staatsanwalt minutiös jeden einzelnen Tag und die genaue Zahl der Gäste auf. Da muß jemand regelrecht auf der Lauer gelegen haben. „Es ist nur diese eine Person, Helmut V., kein anderer Nachbar fühlt sich gestört, ich habe nachgefragt“, führt der Wirt, ein Iraner, mit sichtlicher Erregung aus. Von Beruf ist er eigentlich Ingenieur, seit vier Jahren führt er die Gaststätte in Horn. Die Gäste seien doch ganz ruhig, viele kämen von der Uni nebenan. Der „böse Nachbar“ wohne fünf Häuser weiter auf der anderen Seite, ein Professor von nebenan höre überhaupt nichts.
„Herr V. redet kaum mit mir, nur einmal hat er gesagt, Sie können ja rausgehen und in Ihrer Heimat ein Geschäft aufmachen“, berichtet G. Seit 1935 gebe es diese Gaststätte, vor ihm waren nur deutsche Besitzer dort. Es sei immer länger geöffnet gewesen und Helmut V., der schon 20 Jahre dort wohne, habe sich nie beschwert. Anfang letzten Jahres hatte der Wirt einen Antrag auf Verlängerung der Öffnungszeiten bis 23.00 Uhr gestellt, bisher hat er darauf aber noch keine Antwort.
Richterin Ellen Best zeigt Verständnis für die Nöte des Iraners, der in den Sommermonaten für die kalten Tage mitverdienen muß. Das Strafmaß soll um die Hälfte reduziert werden, Anwalt und Mandant geben sich zufrieden. Die Richterin ermahnt Seyed-Mohammad G., bis zur Bewilligung der Verlängerung Gäste nach 22.00 Uhr nicht mehr im Garten sitzen zu lassen. Wie der Wirt das bewerkstelligen soll, weiß sie allerdings auch nicht.
Nach der Verhandlung berichtet Seyed-Mohammad G., wie der Psychoterror des V. die ganze Familie belaste: „Letztes Jahr war meine Frau im Krankenhaus. Immer, wenn ich zu ihr kam, fragte sie als erstes: War V. schon da?“ Mühsam unterdrückt der Iraner die Tränen. „Dieser Mann will mich fertigmachen, er will nicht, daß ein Ausländer hier ein Geschäft hat.“
Maren Cronsnest
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