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In die Mitte holen

Wo hat die Kultur der Cinti und Roma in Berlin ihren Platz?  ■ Von Petra Kohse

Am 8. April wird in Berlin ein Kulturzentrum der Cinti und Roma eröffnet. Trotz der angespannten Haushaltslage hat sich der Kultursenator entschlossen, ein Zeichen zu setzen, das nur recht und auch verhältnismäßig billig ist. Denn die Etatisierung des Zentrums kostet mit einer Million Mark nur halb soviel wie die Förderung des privaten Schloßpark-Theaters in Steglitz.

Und wieviel mehr ist dieser Haushaltsposten wert als die Lücke, die er im Säckel des Kultursenators natürlich doch hinterläßt! Ein Forum ist geschaffen, das identitätsstiftende und integrative Wirkung hat, das ein Gegengewicht bildet zu den negativen Klischees von der Cinti- und Roma-Kultur, mit denen die Angehörigen dieser Volksgruppe fortgesetzt konfrontiert werden – und das der Mehrheitsgesellschaft die Möglichkeit gibt zu erfahren, wer da seit Jahrhunderten in ihrer Mitte lebt.

Zukunftsmusik. Morgen ist zwar der 8. April, aber ein Kulturzentrum wird in diesem Jahr nicht eröffnet. Was hingegen tatsächlich stattfindet, ist eine Veranstaltung im Süd-Ost-Europa-Kulturverein. Mit einem Roma-Fest mit Lyrik und Musik wird der Tag gefeiert, an dem 1971 der erste Roma-Kongreß in London stattfand. Ein seltenes Ereignis – die Kultur der Cinti und Roma ist auch in Berlin kein fester Bestandteil des öffentlichen Bewußtseins, weder die gegenwärtige, noch die vergangene – die vernichtete.

Auch doppelte Freude half bisher nichts

Zwar war im Sommer 1991 in Marzahn eine Ausstellung über das Lager Berlin-Marzahn zu sehen, in dem Roma und Cinti ab 1936 zum späteren Abtransport in die NS- Vernichtungslager versammelt wurden. Mangels Platz ist die Dokumentation aber mittlerweile eingemottet. Selbstredend ist dieser Teil der Berliner Geschichte im Schulunterricht kein Thema. Marzahn liegt am Rande der Stadt, und hier, nicht in Mitte, würde Eberhard Diepgen gerne ein Mahnmal für die Cinti und Roma plazieren.

„Es scheint, als würden die Roma und Cinti immer noch als eine Tierart angesehen“, sagte Rajko Djuric kürzlich im Künstlerhaus Bethanien auf einem Kongreß über Fremdheit. Djuric ist Lyriker und Philosoph. Zweimal monatlich macht er eine Roma-Sendung in Radio MultiKulti. Nach dem Kulturfestival der Cinti und Roma im Oktober 1992 ist sie gegenwärtig die kulturelle Aktivität mit der größten Öffentlichkeitswirkung. Dieses Festival hatten die Cinti Union Berlin und das Institut für traditionelle Musik vorwiegend mit Lotto-Geldern im Haus der Kulturen der Welt, im Podewil und im Tempodrom realisieren können. 11 Tage Musik, Theater, Filme und Vorträge aus aller Welt.

„Die Kultur der Cinti und Roma ist (...) ein besonderer Schatz, den es zu bewahren und zu fördern gilt“, schrieb Manfred Stolpe, und auch der zweite Schirmherr des Festivals, Eberhard Diepgen, freute sich über diese „großartige Gelegenheit“, Einblick in die Cinti- und Roma- Kultur zu erhalten. Konsequenzen institutioneller Natur hatte diese doppelte Freude bislang nicht.

Es gibt natürlich hin und wieder Konzerte und andere Veranstaltungen im Süd-Ost-Verein oder der Werkstatt der Kulturen in Neukölln. Aber die sind vom Engagement einzelner VeranstalterInnen abhängig und bleiben entsprechend punktuell. Eine kontinuierliche Kulturarbeit ist der Cinti Union bislang nicht möglich.

Markus Rosenberg, Geschäftsführer dieser Interessenvertretung der Berliner Cinti und Roma – die im übrigen nur deshalb Cinti Union heißt, weil in der Geschäftsführung keine Roma vertreten sind –, erhält für eine sozialpädagogische Beratungsstelle vom Senat für Jugend und Familie jährlich 136.000 Mark. Der Einrichtung, die ihre Existenz dem rot-grünen Senat des Jahres 1989 verdankt, fehlen jährlich dennoch rund 17.000 Mark für die Miete des Eineinhalb-Stellen-Betriebs. Falls die einmal nicht aufgetrieben werden könnten, würden auch die 136.000 Mark gestrichen – wegen mangelnder Zweckerfüllung.

Ein unwürdiges Bettelspiel. Dankenswerterweise sprang der Kultursenat im letzten Jahr ein und wird es auch in diesem wieder tun. Wenn Rosenberg nun neben seiner Arbeit in der Beratungsstelle noch ein kulturelles Projekt betreiben will, muß er dem Familiensenat im Zweifelsfall nachweisen können, daß er kein einziges Telefonat in dieser Angelegenheit von seinem Büro aus führt.

Rajko Djuric schätzt die Volkszugehörigen der Cinti und Roma weltweit auf 15 Millionen; 12 Millionen leben in Europa, circa 90.000 in Deutschland. 95 Prozent von ihnen sind Cinti – ein Name, der sich vom norwestindischen Fluß Sindhu herleitet. Zwischen dem 8. und 12. Jahrhundert mußten Cinti und Roma aus politischen und wirtschaftlichen Gründen ihr Herkunftsland Indien gen Westen verlassen. Cinti kamen Anfang des 15. Jahrhunderts nach Deutschland, Roma vor etwa 150 Jahren.

Romantisierungen sind zynisch

1989 lebten in Berlin 500 Familien mit durchschnittlich sieben Mitgliedern. Djuric geht heute von 25- bis 30.000 Personen aus, von denen etwa 8.000 Roma-Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien sind. „Alle Cinti haben einen deutschen Paß, die meisten sind katholisch, und alle sind seßhaft.“ Markus Rosenberg sagt das, als müsse er es oft sagen, ja: beteuern. Die Vorstellung vom Nomadenvolk, von den „Zigeunern“ sei absurd – „Ein Wandertrieb hat so nie existiert.“

Die fortgesetzte Flucht vor Not und Verfolgung als Zugvogelmentalität zu romantisieren, erscheint in der Tat zynisch, können im Bereich des Exotischen die Gebote des Humanismus doch umstandslos außer Kraft gesetzt werden. So handelt Hans-Joachim Störig in einem sprachkundlichen Buch noch im Jahr 1987 die „Zigeunersprache“ Romani im Unterkapitel über die Gaunersprache Rotwelsch ab. Hinter die Bemerkung, die Frauen würden sich durch Betteln und Wahrsagen das Notwendige verdienen, setzt er in Klammern: „Mehr als das Notwendige kann der Nomade nicht brauchen.“

Romani oder Romanes ist eine indogermanische, traditionell nur gesprochene Sprache mit zahlreichen Dialekten, eine einheitliche Schrift gibt es bislang nicht. Der Mehrheitsgesellschaft in Berlin Geschichte und Lebendigkeit dieser Sprache – in der auch das Normensystem der Cinti und Roma überliefert wird – nahezubringen, wünscht sich Rosenberg ebenso wie ein Forum für diejenigen, die Romani neben Deutsch sprechen – beispielsweise ein Kulturzentrum.

Das ließe sich über ein Stiftungsmodell vielleicht realisieren. Aber damit würde man das Land aus der Verantwortung entlassen, sagt Rosenberg, der seine politische Aufgabe in der Anerkennung der Cinti und Roma als deutsche Minderheit sieht. „Berlin hat da eine besondere Verantwortung, die mit der gleichzusetzen ist, die Berlin gegenüber der jüdischen Gemeinde wahrnimmt. Dazu gehört die Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren.“

Im letzten November hat die Cinti Union einen Antrag auf Förderung der Vorbereitungen einer für 1997 geplanten Ausstellung beim Kultursenat eingereicht. Darin soll die Kultur der Cinti und Roma der letzten 600 Jahre in ihrer Eigenständigkeit und in ihren Einflüssen auf die deutsche Kultur dokumentiert werden: die traditionellen Berufe von Kesselschmied bis Geigenbauer, die Sprache, die Wanderungen des Ende des 15. Jahrhunderts für vogelfrei erklärten Volkes... Der Holocaust als Versuch, diese Kultur zu zerstören, wäre ein Thema unter anderen, nicht der Schwerpunkt. KünstlerInnen und KunsthandwerkerInnen der Volksgruppe sollen eingeladen werden, damit das Ausstellungspublikum die Möglichkeit zum persönlichen Kontakt hat.

Die für die Vorbereitung beantragten 115.000 Mark sind durchaus keine dreiste Forderung. Inklusive einer bescheidenen Sachkostenpauschale könnten zwei Personen beschäftigt werden, die ein Drittel der üblichen Gehälter verdienen. Nach Angaben von Kultursenatssprecher Rainer Klemke wird der Antrag derzeit „wohlwollend“ geprüft. In diesen Tagen ist noch ein weiterer Antrag eingegangen: 86.000 Mark für ein Cinti- und Roma-Musikfestival Ende Juni in Weißensee, initiiert vom Apropos e.V. Weißensee in Zusammenarbeit mit der Cinti- Swing-Formation. „Sie sehen, in unserer Stadt gibt es viel mehr Ideen und Aktivitäten, als unterstützt werden können.“

Natürlich: das Geld liegt beim Kultursenat nicht in der Schublade. Dennoch sollte es möglich sein, eine kulturelle Förderung der Cinti Union im Haushalt zu verankern. Rosenberg versteht das Ausstellungsprojekt als Auftakt zu kontinuierlicher Arbeit – ein Wunsch, den er dem Kultursenator schon vorgetragen hat. Auch die kulturpolitischen SprecherInnen der Parteien stehen einem senatsgeförderten Kulturzentrum prinzipiell positiv gegenüber. Albert Eckert (Bündnisgrüne), Irana Rusta (SPD), Uwe Lehmann- Brauns (CDU) und Peter Tiedt (FDP) sind zu Gesprächen mit Rosenberg bereit. Vielleicht wird ja die eingangs gewagte Phantasie im nächsten Jahr eine Nachricht sein.

Roma-Fest, morgen ab 19 Uhr, Süd-Ost-Europa-Verein, Großbeerenstraße 88, Kreuzberg

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