piwik no script img

Zurück zur chemischen Droge

Gutgelaunt vom Wissen um den Neu-Trainer Erich Ribbeck rafft sich Leverkusen zu einem 3:1 über Ex-Titelaspirant Mönchengladbach auf  ■ Von Katrin Weber-Klüver

Leverkusen (taz) – Die einzigen, die am Sonnabend nachmittag im Ulrich-Haberland-Stadion zu Leverkusen wahrscheinlich sowohl keine Ahnung davon als auch kein Interesse daran hatten, daß ab heute nicht mehr Dragoslav Stepanovic, sondern Erich Ribbeck das Training der Bundesligisten von Bayer 04 leitet, waren 500 Belgier. Ihr Anlaß zur Reise ins Rheinland: Hans-Peter Lehnhoff spielen sehen. Ihr Begehr, auf einem Transparent verkündet: „Lehnhoff come back to Antwerpen“. Eigenartig fanden die Auslandsreisenden sicherlich, daß neben ihren Plätzen noch wenige Minuten vor dem Anpfiff die Leverkusener Fan-Ecke auf der Gegentribüne halbverwaist war und Transparente „Vorstand wach auf“ forderten sowie darüber informierten, daß „keine Leistung – keine Fans“ zur Folge hat. Zu diesem Zeitpunkt wußten die Belgier und die übrigen 26.000 im ausverkauften Stadion bereits durch den flächendeckend verteilten „Extra Stadion Kurier“, daß die Herren vom Vorstand ausgeschlafen und am Vorabend Bayer und Stepanovic (46) „ihre Zusammenarbeit beendet“ hatten.

Reiner Calmund griff später in etlichen Stellungnahmen auf die nach „Ehen vor Gericht“ anmutende Formel „unüberwindbare atmosphärische Störungen“ zurück.

Der Leverkusener Manager war einerseits sichtlich betroffen, daß er seinen lange Zeit protegierten Entertainer-Trainer hatte feuern müssen, gleichzeitig auch schon wieder bester Hoffnung, daß die Rückkehr Ribbecks keinesfalls die Rückkehr in den „Mief“ alter Tage bedeute. Vielmehr erhofft sich die Führung mit dem smarten, gerne „Sir Erich“ geheißenen Wuppertaler, der am Freitag von Calmund aus seinem Interimsruhestand auf Teneriffa gerissen wurde, an Erfolge anknüpfen zu können. Schließlich war Ribbeck (57) schon einmal Bayer-Trainer und schaffte – er allein weiß, wie – mit dem UEFA-Cup-Gewinn 1988 den größten Erfolg der Vereinsgeschichte.

Nun gut. Für die Belgier war das alles ziemlich egal. Mehr bewegte sie der traurige Umstand, daß Lehnhoff um kurz nach halb vier gar nicht auflief. Andererseits war das auch nicht so schlimm, denn sie wohnten einem bemerkenswerten Spiel zwischen der neben Dresden schlechtesten Rückrundenmannschaft und dem vermeintlichen Meisterschaftskandidaten aus Mönchengladbach bei. Was im übrigen auch die Fans aus dem C- Block taten, die rechtzeitig ihre angestammten Plätze wieder eingenommen hatten, um in der 9. Minute den Platzverweis für Leverkusens Notlibero Jupp Nehl wegen einer Notbremse gegen Martin Dahlin zu sehen. Die Gäste schlugen daraus kein Kapital. Im Gegenteil. Sie gaben sich kollektiv nachlässiger Überheblichkeit hin, was Stefan Effenberg mit durchschlagender Ideenlosigkeit illustrierte. Auf der anderen Seite war Andreas Thom neben dem selten so souveränen Offensiv-Libero Ion Lupescu offenbar derjenige, den die neuen Umstände am meisten beflügelten. Der bekanntlich begnadet veranlagte Thom hatte ob seiner Sensibilität ebenfalls bekanntlich heftig unter dem harten Regime und der Kommunikationsverweigerung Stepanovics gelitten. Was er kann, wenn er kann, demonstrierte Thom am besten mit seinem überlegten Treffer zur 1:0-Führung (28.).

In der Folge kam Glück dazu, als Gladbachs Joachim Stadler einen Lattentreffer von Ulf Kirsten ins eigene Tor lenkte (62.), und Effenberg in der vorletzten Spielminute aus fünf Metern ärmlich an Rüdiger Vollborn scheiterte. So war der Anschlußtreffer von Heiko Herrlich (85.) genauso irrelevant, wie Paulo Sergios 3:1 in der Nachspielzeit nur noch das Tüpfelchen auf der Erkenntnis: Bayer-Spieler sind anders als andere. Wenn sie nur wollen oder vielleicht auch: wenn man sie nur läßt, sind sie eine der besten Mannschaften der Liga. Es müßte nur jemand die Formel kennen, die das begabte Ensemble konstant in Spiellaune bringt.

Um sich in der Herstellung dieser richtigen Chemie zu versuchen, hat Erich Ribbeck, dem die Bundesliga selbst „Droge“ ist, einen Zweieinvierteljahresvertrag erhalten. An Ribbecks erster Trainingseinheit am heutigen Morgen wird auch Hans-Peter Lehnhoff teilnehmen. Dann aber muß der sich sputen, die Pflicht des Helden für seine Verehrer zu erfüllen. Daß er am Sonnabend trotz Fußlahmheit noch für eine Viertelstunde eingewechselt wurde, reichte seinem belgischen Anhang nicht. Zwar hielt sie die Begeisterung da schon nicht mehr auf den Sitzen. Doch abgemacht ist zudem, daß Lehnhoff sie heute zum Auswärtsspiel Antwerpens nach Seraing begleitet.

Mönchengladbach: Kamps - Kastenmaier, Klinkert (46. Stadler), Andersson, Neun - Hochstätter - Nielsen (63. Max), Effenberg, Wynhoff - Dahlin, Herrlich

Zuschauer: 26.200 (ausverkauft)

Tore: 1:0 Thom (28.), 2:0 Kirsten (62.), 2:1 Herrlich (85.), 3:1 Sergio (90.)

Rote Karte: Nehl (9.) wegen Foulspiels

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen