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Täglich steigt die Wut

Drei Wochen nach Beginn der Invasion im Nordirak sind Tausende KurdInnen auf der Flucht. Was die türkischen Soldaten wollen, wird immer unklarer  ■ Aus Dohuk Christina Karrer

Zusammen mit Hunderten Frauen und Kindern campiert Rabkasad Biniaman an der Hauptstraße zwischen Sacho und dem nordöstlich gelegenen Dorf Kani Masi. Die Kurdin stammt aus Merkacia, einem Ort an der irakisch- türkischen Grenze. Seit Freitag ist sie auf der Flucht. „Zwei türkische Flugzeuge haben unser Dorf von mittags bis abends spät bombardiert. Wir haben uns zuerst außerhalb des Dorfes versteckt, doch als wir merkten, daß die Flugzeuge nicht aufhörten zu bombardieren, und aus den Hügeln Kanonen- und Maschinengewehrfeuer ausbrach, haben wir zu Fuß das Dorf verlassen“, berichtet Biniaman.

Spät in der Nacht sind sie und die BewohnerInnen von insgesamt vier Ortschaften geflohen. Sie kamen bis zu dem Dorf Batifaseida, an dessen Rand sie jetzt lagern. Die über den kargen Hang verstreuten Familien sitzen auf Wolldecken, die ihnen die Leute aus Batisfaseida gebracht haben. Ihre Plastikschuhe sind verschmutzt, die Arme von dornigen Büschen zerkratzt und ihre Gesichter gezeichnet von Müdigkeit. Einige haben einen Topf Joghurt retten können, andere einige Fladen Brot, doch die Schafe und Ziegen, ihr ganzes Hab und Gut, haben sie zurückgelassen. Mehr als tausend Personen haben insgesamt in diesen vier Dörfern gewohnt, und sie sind nur die Spitze von insgesamt über 13.000 Menschen, die seit Beginn des türkischen Einmarsches vor drei Wochen ihre Dörfer verlassen haben. Doch bis vor einer Woche campierte kaum jemand entlang der Straße, die durch das Barwari-Bala-Tal führt. Mittlerweile sind es Hunderte, und stündlich werden es mehr.

Was genau in Barwari Bala vorgeht, ist schwer einzuschätzen. Nach Berichten von kurdischen Dorfbewohnern haben sich mehr als 4.000 türkische Soldaten in den Hügeln um das Metinmassiv verschanzt. Dort – woher eben die Leute fliehen – soll sich eine unbekannte Zahl von Kämpfern der von den türkischen Soldaten gejagten „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) aufhalten. Dutzende türkische Soldaten waren dieser Tage mit dem Fernglas von Kani Masi aus zu beobachten. Zwischen der nahegelegenen türkisch-irakischen Grenze und dem Metinmassiv flogen Helikopter hin und her. Ob sie neue Truppen einflogen oder – wie die türkische Regierung behauptet – alte zurücktransportierten, ist nicht zu erkennen. Was die türkischen Truppen in diesem westlichen Teil des Nordirak vorhaben, ist unklar. Einerseits haben sie zwei von ihren drei wichtigsten Hauptquartieren verlassen, das heißt mehr als 6.000 Soldaten bewegt, andererseits hat niemand am offiziellen türkisch-irakischen Grenzübergang Truppen abziehen sehen. Erst am Samstag brachten Dutzende von türkischen Lastwagen Lebensmittel und Zigaretten in das Einsatzgebiet. Die Lieferungen lassen vermuten, daß das türkische Militär noch einige Zeit im Nordirak bleiben wird.

Trotz ihrer massiven Präsenz sind die türkischen Soldaten jedoch nicht in der Lage, die Gegend vollständig zu kontrollieren. Das wurde zuletzt am Freitag an der Hauptstraße zwischen Sacho und Derkare, einem Dorf zehn Kilometer östlich, offensichtlich. Während Dutzende von türkischen Panzern Derkare umstellten, Hunderte von Militärs die Schulen belagerten und ein Panzer die von der Hauptstraße abzweigende Zufahrtsstraße sicherte, wurden nur einen Kilometer westlich zwei Autos überfallen. Acht Zivilisten starben, als kurdische Guerillas das Feuer auf die Fahrzeuge eröffneten. Da eines der Opfer ein hochrangiger Funktionär der „Demokratischen Partei Kurdistans“ (KDP) war, wurde sofort vermutet, der Anschlag habe ihm gegolten. Mittlerweile wird jedoch von einem Willkürakt ausgegangen. „Es war schlicht und einfach ein Terrorakt, der die Türkei blamieren und die Leute einschüchtern sollte“, meinte der KDP-Verantwortliche in Sacho. Aussagen von BewohnerInnen eines in der Nähe des Anschlagsortes gelegenen Dorfes lassen vermuten, daß eine aus Mitgliedern der „Patriotischen Union Kurdistans“ (PUK) und der PKK bestehende Gruppe den Angriff durchführte und danach im schwer zugänglichen Gebiet südöstlich von Sacho verschwand.

Es ist ein offenes Geheimnis, daß sich nach Ausbruch des Krieges zwischen KDP und PUK vor einem Jahr im westlichen Teil des Nordirak etwa 200 PUK-Kämpfer der PKK angeschlossen haben. Die das Gebiet kontrollierende KDP behauptet, auch ein Bombenanschlag in Sacho, bei dem Ende Februar 78 Menschen starben, gehe auf das Konto dieser Gruppe. Ob dieser Vorwurf zutrifft oder ob der irakische Geheimdienst hinter dem Anschlag steckt, wird wahrscheinlich nie zu beweisen sein.

Der Anschlag vom Freitag stiftete zusätzliche Unruhe unter den irakischen Kurden. Bereits vor einer Woche waren sieben kurdische Schäfer ermordet worden. Kurden beschuldigten türkische Soldaten der Tat. Bei einem anschließenden Zusammenstoß zwischen Mitarbeitern des türkischen roten Halbmondes und trauernden Verwandten der Schäfer starben drei Türken und fünf Kurden.

„Wenn die Türken sich nicht bald zurückziehen, greifen wir zu den Waffen, ohne unsere Partei zu fragen. Die tut sowieso nichts für uns“, meinen Mitglieder der KDP, die aus ihren Dörfern fliehen mußten. Sogar der Gouverneur von Dohuk, Abdullaziz Tahib (KDP), kann nicht mehr für Frieden garantieren. „Seit dem Tod der drei Türken hat die kurdische Bevölkerung erkannt, daß die Türken verletzbar sind. Wenn die Türken nicht aufhören, unsere Leute zu ermorden und auszurauben, werden diese sich früher oder später wehren.“

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