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Der Castor läßt Tschernobyl grüßen

Griefahn in Bonn, Urlaubssperre für die niedersächsische Polizei nach Ostern: Der erste Transport abgebrannter Brennelemente könnte am 26. April in Gorleben ankommen  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Es wird ernst. „Nach den Planungen der Polizei soll der Pannen-Castor offenbar ausgerechnet am 26. April, dem neunten Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe, bei uns ankommen“, sagt Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. Er hält diesen Termin für „eine ungeheure Provokation“ und mag in diesem Fall „für gar nichts mehr garantieren“. Auszuschließen ist dieser Fall nicht. „Bisher gehen wir davon aus, daß der Behälter in Philippsburg am 24. oder 25. April auf die Reise gehen soll.“

Seit 254 Tagen steht der Castor- Behälter mit neun verbrauchten Brennelementen beladen in Philippsburg abfahrbereit. Die Indizien für einen Transport noch im April sind tatsächlich unübersehbar. So hat das niedersächsische Innenministerium bestätigt, daß für einen Teil der niedersächsischen Polizei ab Ostern eine Urlaubssperre verhängt wurde. Bei der Schutzpolizei in Lüchow ist ein Ladung Großzelte eingetroffen, in denen die Polizeikräfte untergebracht werden sollen. Bei letzten Transportversuch waren 5.000 Beamte im Einsatz.

Die Bürgerinitiative hat mit täglichen Mahnwachen begonnen. Eine Großdemonstration, zu der sie bundesweit aufruft, wird für das Wochenende nach Ostern, also für den 22. April anvisiert, sagt Sprecher Ehmke.

Bundesumweltministerin Angela Merkel hat für heute Vertreter des niedersächsischen Umweltministeriums kurzfristig zu einem weiteren bundesaufsichtlichen Gespräch nach Bonn gelanden. Sie will ihre niedersächsische Kollegin Monika Griefahn dazu anhalten, die auch schon per Weisung erzwungene Zustimmung des Landes zu dem ersten Castor-Transport im Nachhinein für „sofort vollziehbar“ zu erklären.

Dieses rechtliche Detail hatte Frau „Merkelnix“, wie die Bonner Ministerin im Wendland heißt, in ihrer letzten Castor-Weisung schlicht vergessen. Die von der Bürgerinitiative bereits eingereichte Klage gegen den Transport hätte damit gute Aussichten auf eine wenigstens vorläufige Wirkung gehabt. Denn nur mit der Erklärung des „Sofortvollzug“ verlieren Klagen gegen einen Verwaltungsakt ihre aufschiebende Wirkung – allerdings ist auch gegen die Anordnung des Sofortvollzugs wiederum eine Klage möglich.

„Wir erwarten von Monika Griefahn“, sagte Wolfgang Ehmke gestern, daß sie sich nach ihrer Zwangspause genauso tatendurstig und kämpferisch wie wir gegen den Castor-Transport stemmt.“ Davor wird sie sich wohl hüten. Sie ist von Ministerpräsidenten Schröder selbst gerade politisch demontiert worden. Weit mehr Sorgen als die Gorlebener Aktionen ihrer niedersächsischen Kollegin macht deshalb Angela Merkel die Atomindustrie selber. Denn schon bevor die ersten Parteiengespräche über einen möglichen Energiekonsens begannen, hatte der Chef der Bayernwerke, Wortführer der Atomkraftwerkbetreiber, erklärt, in Deutschland seien auf absehbare Zeit keine neuen Atomreaktoren nötig. Genau das aber hatte die Bundesregierung bisher gefordert. Auch SPD-Verhandlungsführer Schröder hatte zugestimmt, das wenigstens der Prototyp eines neuen, von Siemens und Framatome gemeinsam entwickelten Reaktors mit höherer Sicherheit in Deutschland genehmigt werden könne. Einigermaßen verwirrt ließ die Ministerin Merkel ihre Referenten ausarbeiten, wie denn nun zu verfahren sei. Sie möchte sicherstellen, daß die Industrie den Atomkurs ihres Vorgängers in den kommenden Energiegesprächen tatsächlich unterstützt. So sicher ist das nicht. Wie der Spiegel aus einem internen Papier zitert, überlegt das Ministerium unter anderem, ob die Atomindustrie mit ermäßigten Sicherheitsanforderungen doch noch zum Bau neuer Reaktoren in Deutschland bewogen werden könnte.

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