■ Die Plutoniumhändler aus Pullach und die bösen Russen: AB-Maßnahme vom Feinsten
Ein Agent provocateur ist in der Terminologie der Geheimdienste ein Spitzel oder Spezialist aus eigenem Haus, der nachzuhelfen weiß, wenn eine Sache ins Stocken kommt oder der vermeintliche Gegner nicht willens oder in der Lage ist, eine Aktion selbst zu inszenieren. Der klassische Agent provocateur lieferte die Bombe an die Narodniks, die allein mit dem Attentat auf den Zaren überfordert waren, und ließ sie dann rechtzeitig hochgehen. Die verschärfte Variante des Agent provocateur ist, wenn dieser die „Terrortruppe“, der er dann die Bombe liefert, erst einmal selbst gründen muß. Beides hat es gegeben, beides gehört auch heute zum selbstverständlichen Repertoire der Geheimdienste in aller Welt. So ist es für das Bundeskriminalamt mittlerweile reine Routine, Kokainaufkäufer nach Kolumbien zu schicken oder im Rohopiumhandel im Goldenen Dreieck mitzumischen. Da selbst Landeskriminalämter schon ihre Undercover-Leute einsetzen, dürfte es selbst fürs BKA schwierig sein, noch den Überblick zu behalten, wieviel Konterbande aus dem Rauschgifthandel eigentlich mit Hilfe der Polizei ins Land gebracht wurde und ob dieser Stoff tatsächlich in der Asservatenkammer lagert oder nicht längst auf dem Markt zirkuliert.
Die Methode ist also nicht neu. Doch der Stoff, um den es diesmal geht, ist hochexplosiv – in mehrfacher Hinsicht. Plutonium ist der mit Abstand giftigste Stoff der Welt. Jedes Hin- und Hergeschiebe, selbst von Gramm-Mengen, verbietet sich da von selbst. Fast so sensibel wie der Stoff ist die Lage in dem Land, aus dem er beschafft wurde. Zweifellos sind in Rußland Kontrollen zusammengebrochen. Um so schlimmer, wenn der Bundesnachrichtendienst den potentiellen Markt auch noch anheizt. Nicht zuletzt wurde durch diesen Coup der sowieso labile russische Sicherheitsapparat an einer der empfindlichsten Stellen getroffen, was die zukünftige Zusammenarbeit sicher nicht erleichtern wird.
Für den Bundesnachrichtendienst, der seine Herkunft aus Hitlers Aufklärertruppe „Fremde Heere Ost“ offenbar bis heute nicht verleugnen kann, mag die Operation „Hades“ ein später Triumph über den einstigen Gegner und heutigen Freund-Feind sein. Die Kalten Krieger in Pullach kommen mit der veränderten Weltlage offenkundig nicht klar. Politisch schwerwiegender ist die Mittäterschaft im Zentrum der Bundesregierung. Kohls „008“ Bernd Schmidbauer, Kanzleramtsminister und oberster Geheimdienstkontrolleur, hat nach Lage der Dinge grünes Licht gegeben und damit wissentlich in Kauf genommen, die russische Regierung nachhaltig vor den Kopf zu stoßen. Noch ist unklar, ob Kohl und Kinkel von dem BND-Coup wußten. Jelzin wird es ihnen in jedem Fall und völlig zu Recht übel nehmen.
Das einmal produzierte Plutonium weltweit unter Kontrolle zu behalten gehört zu den schwierigsten Aufgaben internationaler Politik. Wichtigste Voraussetzung dafür ist die möglichst enge Zusammenarbeit der größten Plutoniumbesitzer. Das Bild vom gierigen, korrupten und unfähigen Russen, das der BND mit seiner Aktion zu zeichnen suchte, dürfte die ersten Ansätze eines mühsam aufgebauten Vertrauensverhältnisses wieder zerstören.
Ein Kanzleramtsminister als oberster Agent provocateur ist im Plutoniumzeitalter ein nicht zu verantwortendes Sicherheitsrisiko. Jürgen Gottschlich
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