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Die Straße ist dort, wo man herkommt

■ Softies von der Waterkant: Deutscher HipHop, drei Jahre nach Hoyerswerda und den Fantastischen Vier. Die „Klasse von 95“ ist mit Sesamstraßen-Grooves auf Tour

Die Bands der „Klasse von 95“ heißen „Die Coolen Säue“ oder „Fettes Brot“, und beim ersten Mal ist es schon etwas fremd, wenn da Reime gerappt werden wie diese: „Lauf und kauf Dir den erotischen Gedichtsverkehr/ Leiht Ihr mir Euer Ohr, geb ich's nicht mehr her“. Irgendwann johlt ein volksauflaufartiger Kanon im Gefolge von „Fettes Brot“ die Trinkhymne „Meh Bier“, und bei den verjazzteren Schmuse-HipHoppern von „Der Tobi und das Bo“ werden Heinz-Erhardt-Kalauer unter 70s- Disco-Samples gemischt — oder kratziger Leslie-Orgelsound der Sterncombo Meissen, denn „die Jungs waren sehr funky“.

Seit drei Jahren war abzusehen, daß auch deutschsprachiger HipHop seine Nische finden würde. Zunächst als Häuflein wilder antifaschistischer Aufrechter von diversen Medien gegen die rechte Jugendkultur in Rostock und Mölln herbeizitiert, hat sich Deutsch-Rap nicht auf die Rolle des sozialen Ausputzers festlegen lassen. Politische Korrektheit gehört vielmehr zu einer Strategie, die sich afrodeutsche Paß- und Polit-Statements von Advanced Chemistry ebenso aneignet wie den dahingeblödelten Frohsinn der Fantastischen Vier. Die einen grüßen auf den Platten weiterhin Malcolm X, die anderen halt Mike Krüger.

Daß sich heute keine Trennlinie zwischen Vernunft und Vergnügen mehr ziehen läßt, beruht wohl auch auf Fehlern im Diskursgefüge. Während eine Band wie Blumfeld vor allem sauber dekonstruierte Seminarbeiträge mit ihren Songs abliefert und Techno die selbstbewußt ravende Nation begründen will, bleibt das Gros pubertierend mittelständischer Jung-Folks mit seinen Gefühlsnöten ziemlich alleingelassen. Plötzlich machen sich Regionalismen ganz anders bemerkbar als in der Vorliebe für Chicago-House oder den irgendwie auf Existentialismus verpflichteten Rockgitarren-Recken: Bei „Nordisch By Nature“ poltern Hamburgs „Fettes Brot“ auf plattdeutsch los, weil man sonst „seine Ideen erst mal übersetzen und um zwei Ecken herum denken muß“, so der anerkanntermaßen Schiffsmeister geschimpfte Rapper des Trios, „da geht dann viel verloren“.

Auf die Frage, ob HipHop in Deutschland bloßes Ghetto-Imitat, die Weiterführung von Dorfkultur mit den Mitteln der Straße ist, antwortet der zu besagtem Tobi gehörende Bo wahrheitsgemäß: „Die Straße ist da, wo man herkommt. Ich komme aus Horst bei Elmshorn. Da gibt es die Drogenprobleme nicht, also kann ich auch nicht darüber reden. Meine Straße ist schon eher die Sesamstraße. Die Probleme, von denen ich reden könnte, wären etwa, wenn einem Bauern die Milchmaschine ausfällt, und er muß alle seine Kühe mit der Hand melken. Aber dafür würde sich wahrscheinlich niemand interessieren. Also muß ich mich auf die Dinge beschränken, die in meinem Kopf sind.“ Das klingt bescheiden, zumal Texte wie „Super Mario“ von kurzweilig am Computer durchgespielten Nachmittagen handeln.

Manchmal fühlt man sich sehr an alte Synchronisationsstudio- Kabinettstückchen erinnert, wie sie Heiner Brandt der Fernsehserie „Die Zwei“ untergelegt hat, als eine Art Überbietung der zum Mainstream verflüchtigten Subversion. Pop ohne Wurzeln sucht eben auch keine Heimat mehr, an deren Metaphern sich der dissidentische Untergrund à la Blumfeld wortgewaltig und schwitzend abarbeitet. Das Intro zu „Racka“ hat Tobi der deutschen Filmfassung von „I'm gonna git you sucka“ entlehnt, in der ein gewisser Pimp of the Year sein „selbstverfaßtes Gedichtpoem“ vorträgt. Nicht das authentische Nacherleben amerikanischer Low-Culture zählt, sondern deren Übersetzbarkeit von Brooklyn an die Reeperbahn — eine Verschiebung, zu der auch der Erfolg von Tarrantinos „Pulp Fiction“ in Off-Kinos paßt. Man liebt, was den eigenen Wünschen ähnelt, ohne zu sehr mit dem Realen ins Gehege kommen zu müssen; man akzeptiert das Leben, sobald es in der Kopie wieder entschärft auftaucht: „Aber das Lebensgefühl kriegt man ja auch im HipHop mit, man kann sich da hineinversetzen. Wir sind weiß, aber wir wollen wie Schwarze sein“, so Bo. Bei „Fettes Brot“ dagegen werden mit Stücken wie „Optimal Geschmacksneutral“ gleich wieder kabaretthaft Sozialstudien in Reimform heruntergerappt, in der Art Bottroper HipHop-Protokolle. Die Sprachspiele funktionieren erst dann, wenn man einigermaßen vom Druck des Deutsch-Leistungskurses befreit Duden und Sozialkundebuch beiseite läßt und auf „Friedhof der Nuscheltiere“ oder dem grantigen „Frikadelle am Ohr“ über selbstverschuldete Alltagsverfehlungen herzieht. Gerade darin liegt jedoch die doppelte Bindung, den Widerspruch von einer schwarzen Tradition des „signifying“ und den Eigensinn durchgelebter „second-order-hipness“ bewahren zu wollen, wenn Boris für den Wortgehalt von „Fettes Brot“ spricht: „Journalisten sollten sich lieber mal die katastrophalen Texte von Ice-T oder NWA anhören, als sich darüber zu beklagen, daß hierzulande im HipHop ein Unvermögen herrscht, wenn es um tiefere Aussagen geht.“ Auch die Texte von einer so elegant frotzelnden HipHop-Crew wie „Der Tobi und das Bo“ laufen Gefahr, zwischen Protestsong und lockerem Infotainment auseinanderzufallen: nicht cool, aber niedlich. Harald Fricke

Fettes Brot: „Auf einem Auge blöd ... Aber der Erfolg gibt uns recht“ (Intercord)

Der Tobi und das Bo: „Genie und Wahnsinn liegen dicht beieinander“ (Yo Mama)

Die „Klasse von 95“ auf Tour: 13. 4., Köln; 15. 4., Bremen; 16. 4., Hildesheim; 17. 4., Hamburg; 29. 4., Kassel; 30. 4., Mannheim; 1. 5., Bochum.

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