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Von Menschen bleiben am Schluß nur Schuhe

■ Der Schwerpunkt des Treffens waren internationale Inszenierungen zum Thema „Kinder und Krieg“. Sie zeigten eine mal mehr, mal weniger optimistische Zukunftssicht

Wolfgang Schneider, Mitinitiator des Kinder- und Jugendtheatertreffens, beruft sich auf die gesellschaftliche Verantwortung. Deshalb habe man „Kinder und Krieg“ mit sechs Stücken zum Schwerpunktthema gemacht. Der Platitüde hätte es nicht bedurft. Daß es im Haus Europa brennt, ist auch für Kinder hierzulande deutlich sichtbar. Flüchtlinge aus Osteuropa und dem Balkan gehören, gerade in Berlin, zum Alltagsbild. Blutige Konflikte, deren Gründe selbst die Erwachsenen kaum verstehen – ein Gegenstand fürs Kindertheater?

Legt man die Aufführungszahlen von Ad de Bonts „Mirad“ zugrunde, auf alle Fälle. Eines der meistgespielten Stücke für Kinder ab zwölf in dieser Saison und auch auf dem Festival in gleich vier Inszenierungen zu sehen, beweist das ebenso einfache wie beklemmende Stück, daß eine Annäherung an die schwierige Materie ohne Zeigefinger möglich ist.

Ein Mann und eine Frau, selbst gerade der Hölle von Sarajevo entkommen, erzählen die Geschichte ihres Neffen Mirad und gleichzeitig die ihre. Mehr nicht, eine Stunde lang. Aber wie das Manfred Schwabe und Ursula Michaelis vom Kölner Theater Ömmes & Oimel tun, hat mit Berufsbetroffenheit nichts zu tun. Sie bringen die Kriegsgrauen leise ins Klassenzimmer (wo das bühnenbildlose Stück ohne weiteres spielbar ist) und erzählen schlicht von der für sie selbst schwer faßbaren und kaum durchschaubaren Entwicklung.

Das Gripstheater versucht es wie immer etwas pädagogischer. Aber auch der mit Fernsehausschnitten garnierte Unterricht in politischer Bildung geht unter die Haut. Krieg und Flucht bekommen durch das titelgebende Mädchen Bosana ein Gesicht – das macht den entscheidenden Unterschied zu der Nachrichtenflut auf dem Bildschirm aus.

„Es wäre masochistisch, die Kinder auch noch im geschützten Kunstraum mit der Realität draußen zu konfrontieren“, antwortet Marko Kovačević auf die pikierte Journalistenfrage, wo denn der Umgang mit der Wirklichkeit sei in dem von ihm inszenierten Märchen. Kovačević arbeitet in Sarajevo. Dort trotzt das Theater Mladih dem Krieg mit Kunst. Ohne Heizung und wenn es sein muß bei Kerzenlicht, aber bei ausverkauftem Haus. Kultur ist hier überlebensnotwendig, um das Hoffen nicht zu verlernen.

Nach Berlin hat die Truppe eine Fabel mitgebracht. Sie handelt von zwei Brüdern, die, ohne voneinander zu wissen, getrennt aufwachsen – auf den zwei Seiten des Flusses, der Sarajevo teilt. Obwohl die Herrscher der Stadthälften verfeindet sind, freunden sich die beiden an und bauen am Schluß eine Brücke. Auf die Bühne gestellt, gibt das eine poetische Mischung aus Puppen-, Schatten- und Menschenspiel, unterlegt mit Vollplaybacksongs in Kuschelpop-Manier. Das ist künstlerisch kaum außergewöhnlich, aber darum geht es hier auch nicht.

Die Theater, die den Krieg vom engagierten Zuschauerplatz aus betrachten, setzen sich direkter mit ihm auseinander. Flucht ist das zentrale Thema. In der dänischen Produktion „Und als die Erde brannte“ (Baggard Teatret) ziehen fünf Kinder durch ein verwüstetes Land. Mehr als die Hoffnung auf ein besseres Morgen ist ihnen nicht geblieben. Unsentimental zeigen die SchauspielerInnen den Weg der Entwurzelten und die Schwierigkeiten des Miteinanders, durch Lieder episch gebrochen.

An solch behutsamer Annäherung hat das belgische Theater Agora überhaupt kein Interesse. „Irgendwo“ nimmt sich zwar Arthur Wests „Märchen vom Wünschen“ zur Grundlage, ist aber alles andere als märchenhaft. Das Fluchtmotiv dient als Folie, um Gruppenverhalten von Menschen zu sezieren, die ihre Identität verloren haben. Die radikale Performance zerschlägt sämtliche Seherwartungen an ein Jugendtheater. Archaische Rituale wechseln ab mit ohrenbetäubenden Trommelrhythmen, Feuer, Wasser und Gewalt, unterlegt mit Filmbildern: ein ebenso stimmiger wie verstörender theatraler Grenzgang. Hier hat es sich ausgehofft, von den Menschen bleiben am Schluß nur noch die Schuhe übrig. Manchmal ist selbst im Theater kein Platz mehr für Optimismus. Gerd Hartmann

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