: Jobs für „Zivis“ sind Mangelware
Fünf Jahre nach Einführung des Zivildienstes in Berlin gibt es für die 3.000 angehenden Zivildienstleistenden viel zuwenig Stellen / Arbeitgeber beantragen kaum Stellen ■ Von Christoph Dowe
Den Zivi-Aktivisten werden fast die Türen eingerannt. Über fünfzehn junge Männer haben sich am diesem Abend im Statthaus Böcklerpark in Kreuzberg eingefunden. Bernd Scharfsteller und Markus Ermert von der „Selbstorganisation der Zivildienstleistenden“ informieren über Verweigerungstaktiken, Zivildienstsold und Wohngeld-Anträge. Dennoch ist ihnen eine gewisse Resignation anzumerken. Denn die meisten angehenden Zivildienstleistenden sind nur zur Beratung gekommen, um sich für ihre Jobbewerbung die Liste der 719 Zivi-Stellen in Berlin abzugreifen.
„Nach der Wende haben wir uns eine Politisierung der Zivis gerade hier in Berlin gewünscht. Aber Zivildienst ist schnell zur Privatsache geworden“, sagt Ermert. Das „Nicht mit mir“, das nach der Wende überwog, ist einem pragmatischen „Wenn es denn sein muß“ gewichen.
3.127 Zivildienstleistende gab es letztes Jahr in Berlin, Tendenz steigend. Bundesweit sind es etwa 122.000. Im Vergleich zu anderen Großstädten liegt Berlin dennoch weit hinten. Hier gibt es nach Ermerts Schätzungen nur halb so viele Zivis wie in vergleichbaren Städten. Das leuchtet nicht direkt ein. Hohe Verweigerungsraten prägen die Rekrutenstatistiken der Stadt. Auf 40 Prozent wird der Anteil von Verweigerern in Berlin geschätzt, das sind mindestens zehn Prozent mehr als im Bundesdurchschnitt. Doch in Berlin fehlen die Jobs für die Verweigerer. Arbeitgeber, die einen Anspruch auf Zivildienststellen haben, stellen oft nicht einmal einen Antrag. Die Folge: Auf einen interessanten Job als Zivildienstleistender muß jahrelang gewartet werden, sonst bleiben nur die undankbaren Putz- und Schichtdienstarbeiten.
Bei ihren Arbeitgebern sind die jungen Männer beliebt: Meist gehen sie ihren Job hoch motiviert an, billige Arbeitskräfte sind sie allemal. 16,66 Mark bekommen die Dienststellen pro Zivildienstleistenden am Tag vom Bundesamt für den Zivildienst zugeschossen. In Berlin und den östlichen Bundesländern liegt der Satz seit Oktober 1994 sogar noch höher, damit potentielle Arbeitgeber endlich mehr Arbeitsstellen schaffen. Bei einem Stundenlohn von unter vier Mark eine Sache, die sich für die Dienststellen rechnet. Die Arbeitgeber veranschlagen Kosten von 392 Mark im Monat und pro Zivildienstleistenden. Doch der Vorwurf, Zivildienststellen würden reguläre Arbeitsplätze vernichten, zeigte Wirkung: Mit dem Argument „Berlin ist auch ohne Zivis ausgekommen“ konnte die Umwandlung so mancher Planstelle zum Zivi-Job verhindert werden. Die Charité, mit ihren 222 Ersatzdienstlern größter Zivi-Hort der Hauptstadt, ist da die Ausnahme.
Als Berlin noch Frontstadt war, vermißte niemand die „Zuvieldienstleistenden“. Schlagartig mit dem Fall der Mauer ging der Sonderstatus für die jungen Wehrdienstpotentiale der Stadt zu Ende. Die Ostberliner waren noch zu DDR-Zeiten gemustert worden, seit Mai 1990 gibt es Zivildienst in Ostberlin. Ein Jahr später erst wurden die Bettpfannen auch im Westteil der Stadt von Jungspundhand entleert.
Diejenigen, die im Lauf der Jahre nach Berlin geflüchtet waren, um den Kasernendrillern durch die Lappen zu gehen, mußten plötzlich damit rechnen, daß die Feldjäger auch zweimal klingeln. Auf 50.000 schätzt Markus Ermert die Zahl derjenigen, die sich in den siebziger und achtziger Jahren nach Berlin abgesetzt haben, um den Kriegsdienst an der Waffe „still“ zu verweigern. Die waren nach der Wende zuerst dran. Von dem inoffiziellen Motto „Zuerst die Jungen, dann die Alten einziehen“ wich das Kreiswehrersatzamt in Berlin konsequent ab, um auch noch des 31jährigen Journalisten vor seinem nächsten Geburtstag habhaft zu werden. Danach wäre er nämlich aus dem Schneider gewesen.
Auch wenn den wenigsten Verweigerern politisches Handeln attestiert werden kann: Die Berliner sind dennoch bekannt für ihren zivilen Ungehorsam. Zehn Musterungskommissionen gibt es in Berlin, doch für die 19.200, die letztes Jahr in die Kategorien „tauglich“, „bedingt tauglich“ oder „nicht tauglich“ eingestuft wurden, hätten vier ausgereicht. – Aber in Berlin müssen sich die Erfassungsämter mit allerlei Papierkram auseinandersetzen: Musterungsverweigerung ist hier eine beliebte Sache. Immer noch versuchen in Berlin überdurchschnittlich viele Männer, beispielsweise mit Nachmusterungsanträgen, häufigem Umziehen oder Zurückstellungsanträgen ganz davonzukommen. Die Kreiswehrersatzämter schlagen nun eine härtere Gangart ein: Im Oktober letzten Jahres wurde der erste Mann polizeilich zur Musterung vorgeführt.
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