piwik no script img

Selten zuvor war der Herausforderer eines Champions aller Klassen so „gesichtslos“ wie Axel Schulz. Samstag nacht tritt in Las Vegas der 26jährige aus Bad Saarow gegen die lebende Box-Legende George Foreman (46) an. Aus Las Vegas Matti Lieske

Die große Reise des Axel Who

Das MGM Grand in Las Vegas proudly presents: George Foreman, Weltmeister im Schwergewichtsboxen, fast so alt wie Joe Louis und mit Fäusten ausgestattet, die einen Dinosaurier niederstrecken könnten, gegen – Axel Schulz. Axel Who?

Selten zuvor war der Herausforderer eines Champions aller Klassen so unbeschrieben, unbekannt, unscheinbar wie der blonde Deutsche aus Bad Saarow, und egal, wen man in den großen weiten Vereinigten Staaten von Amerika fragt, ob er wisse, wer Axel Schulz ist, die Antwort lautet immer gleich: „Axel Who?“ Es sei denn, man gerät an einen der deutschen Fans, die in der Hoffnung auf eine der größten Sensationen der Boxgeschichte nach Las Vegas gefahren sind, oder an George Foreman. Der ist ob der Wahl seines ersten „canon fodder“ (New York Daily News) nach dem Titelgewinn böse kritisiert worden und wird nun nicht müde zu betonen, was für ein grausliger und gefährlicher Kerl dieser Axel Who doch sei, „übel aussehend, ein harter Bursche, keineswegs angenehm“. Außerdem, so Foreman mit kleinem Seitenhieb auf Mike Tyson, habe der Deutsche die letzten Jahre nicht im Knast verbracht. Er werde sich jedenfalls nicht in die Schuhe seines Vorgängers Michael Moorer stecken lassen, der vor dem Kampf gegen Foreman nur darüber geredet habe, was er danach tun werde, und George sei nur „ein im Weg stehender alter Mann“ gewesen.

Aber Foreman mag sich noch so sehr als Kassandra in eigener Sache gebärden, die hiesigen Medien überbieten sich weiterhin gegenseitig mit Scherzen über die Harmlosigkeit des 26jährigen Herausforderers. „Gesichtslos“, „namenlos“, „dem Dunkel entsprungen“ sind noch die schmeichelhaftesten Attribute, die ihm zuteil werden. Das Fachmagazin The Ring ließ sich zu einer Rangliste der „zehn am wenigsten qualifizierten Herausforderer eines Schwergewichts-Weltmeisters“ inspirieren und stufte Schulz vorläufig auf Rang elf ein. Wenn der Deutsche die Instruktionen des Ringrichters vor dem Kampf überstehe, könne er ja vielleicht sogar die erste Runde gewinnen. „Er ist keine größere Bedrohung für Foreman als der Hungertod“, befindet hingegen die New York Post, Tonya Hardings Axel seien gefährlicher als der Deutsche, höhnt die NY Daily News und prophezeit voller Gewißheit, daß Big George im Juli irgendeinen anderen „Schulzie“ und dann im November einen richtigen Gegner boxen werde. Fachlicher drückt es ein britischer Fernsehreporter aus: „Schulz hat keinen harten Schlag, und er bewegt sich nicht gut. Wie geschaffen für Foreman.“

Die Welten, die zwischen dem 46jährigen Rundling aus Houston und dem zwanzig Jahre jüngeren braven Absolventen einer klassischen DDR-Boxausbildung liegen, werden bei der Abschlußpressekonferenz schon rein äußerlich deutlich. Beide waren extra beim Friseur, aber damit enden die Gemeinsamkeiten. Schulz – angetan mit einer grellgelben Krawatte, auf der sich imagegerecht kleine graue Mäuse tummeln – übermittelt durch seinen Dolmetscher schlichte Statements; Foreman, der, mit einer läppischen Unterbrechung von zehn Jährchen, seit 1966 Boxringe unsicher macht, hält im großen Stile Hof. Mit der Eloquenz des geübten Predigers, der er in Houston lange war und immer noch ist, streut er Bonmots, Sarkasmen, Paradigmen und durchaus ernsthafte Betrachtungen unters Volk, am liebsten redet er über sein Alter, seine Kinder und das Essen.

Seine Statur hat allerdings nichts mehr von jenem Box- Buddha, als der er einst wiederkehrte. Mit Schiebermütze und dunklem Jackett, so elegant, als wolle er zum Opernball, erscheint er zum offiziellen Wiegen und bringt 256 amerikanische Pfund (115,2 Kilo) auf die Waage. Für seine Verhältnisse geradezu elfenschlank, und das bedeutet: Er hat hart trainiert. „Die erste Möglichkeit, abzunehmen, die mir einfiel, war, weniger zu essen“, erzählt der versierte Werbeträger für Fried Chicken und monströse Hamburger strahlend, „ich wußte, das würde nicht funktionieren. Also habe ich einfach mehr trainiert als ich in mich reinstopfte.“

Ein anderes Handicap, das er in der ersten Phase seiner Karriere nicht kannte, als er noch den wilden Mann verkörperte, glaubt er ebenfalls überwunden zu haben: die priesterliche Sanftmut, die ihn nach dem Comeback gelegentlich heimsuchte, wenn er seinen Gegnern überlegen war. „Ich habe sie manchmal geschont, und als nächstes schlugen sie mir die Nase blutig. Nein, nein, ich spiele nicht mehr herum mit den Kids. Ich bin ein Puncher. Ich gehe immer auf einen K.o. Aus.“ Schlechte Aussichten für Axel Schulz, dessen Äußerung, er hoffe, daß Foreman und er auch noch Freunde bleiben würden, wenn er ihm den Titel abgenommen habe, der Champ mit mildem Lächeln quittierte.

Allzu leicht nehmen wird Foreman Schulz allerdings nicht, dazu ist er viel zu erfahren, und der Stachel seiner fatalen Selbstüberschätzung von 1974 sitzt immer noch tief. Damals hielt er sich für unschlagbar, doch dann kam Muhammad Ali, trickste ihn gnadenlos aus und schlug ihn K.o. „Ich habe Jahre gebraucht, um über diese Schmach hinwegzukommen“, sagt Foreman heute, „ich wollte sterben.“ Kein Wunder, daß er sich nach dem Sieg gegen Moorer am meisten über die Gratulation des Gegners von 1974 freute, die nun eingerahmt an seiner Wand hängt: „Du hattest den Mut. In Liebe, Ali.“ Inzwischen hält sich Foreman für ebenso clever wie Ali und ist überzeugt, daß der 25jährige Schulz gegen ihn, den 46jährigen, keine Chance hätte. Womit er bei seinem Lieblingsthema ist, dem Alter. „Ich will nichts davon wissen, wenn die Leute sagen, er ist gut für sein Alter. Ich bin einfach gut. Ich bin der Weltmeister. Punkt.“ Und Weltmeister will er noch ein Weilchen bleiben, zumal sich damit so prächtig Geld verdienen läßt. Zehn Millionen Dollar kassiert er allein für die Titelverteidigung gegen Axel Schulz, während sich etwa Tony Tucker und Bruce Seldon, die kürzlich um den Foreman entzogenen WBA-Titel kämpften, mit je 250.000 Dollar zufriedengeben mußten. Aber wie sagt John Fahey, Sportreporter aus Las Vegas, jener Box-Hochburg, in der sich die Weltmeister auf die Füße treten: „Wenn Foreman boxt, ist es immer ein großes Ereignis.“ Selbst wenn es nur gegen Axel Who geht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen