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Der Premierminister und die Konferenz der Lamas Von Ralf Sotscheck

Die Bemerkung klang eigentlich völlig harmlos: „Ich setze Sie auf unseren Verteiler“, sagte der nette Herr von der Pressestelle der irischen Regierung zum Abschied, nachdem ich mir bei ihm den Text des anglo-irischen Rahmenplans für Nordirland besorgt hatte. Für mein Faxgerät ist es seitdem mit der Ruhe vorbei, täglich muß es die neuesten Äußerungen und detaillierten Terminpläne der PolitikerInnen herausleiern. So habe ich erfahren, daß der Staatssekretär für die Entwicklung Westirlands und für ländliche Erneuerung sowie für Kunst, Kultur und die irischsprachigen Gebiete, ein gewisser Donal Carey, am Mittwoch um 12.10 Uhr ein Dorffest eröffnet hat. Und Arbeitsminister Richard Bruton hat sechs Stunden später vor dem Netzwerk von Frauenorganisationen eine Rede gehalten.

Außerdem bin ich nun über jeden Schritt und jeden Satz seines Bruders, des Premierministers John Bruton, informiert. Am vergangenen Donnerstag hatte er sehr viel zu sagen, wie ich einem neunseitigen Fax entnehmen konnte. Überschrift: „Rede des Premierministers vor der Lama-Konferenz.“ Das klang interessant. Was hatte Bruton einer Herde südamerikanischer Kamelschafe wohl mitzuteilen? Hörte ihm sonst niemand mehr zu? Es stellte sich jedoch heraus, daß mit dem Lama die „Local Authority Members Association“ gemeint war – ein Rudel Beamter aus den Bezirksverwaltungen. Merkwürdig, daß die Faxmaschine bei der Übertragung nicht wegen Materialermüdung schlappgemacht hat: Es war der verschnarchteste Meter Papier, der jemals aus dem Gerät gequollen ist.

Unterhaltsam war dagegen die Nachricht, daß Kilmessan einen neuen Postmeister erhält. Das widerspricht der üblichen Praxis, die Ämter in kleinen Dörfern dichtzumachen, wenn der Schalterbeamte das Zeitliche gesegnet hat. Kilmessan ist freilich nicht irgendein Dorf, sondern es liegt in der Grafschaft Meath, dem Wahlkreis des Premierministers. Da man in Irland nur über ein Direktmandat ins Parlament gelangt, herrscht auch für die Kabinettsmitglieder permanenter Wahlkampf. Aus demselben Grund kam vermutlich das Polizeirevier im benachbarten Kilcrone in den Genuß eines neuen Anstrichs, obwohl es lediglich zwei Stunden pro Woche zur Auszahlung der Sozialhilfe geöffnet hat.

Es ist erstaunlich, wie schnell eine Rolle Faxpapier verbraucht ist – natürlich stets während des Empfangs eines wichtigen Faxes, niemals aber mitten in einer Bruton-Rede. Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Die Verkäuferin im Nord-Dubliner Großhandelsgeschäft für Bürobedarf rechnet mich inzwischen zu den Stammkunden. Neulich hat sie mich zum Kauf einer Großpackung Papierrollen überredet, die einem multinationalen Unternehmen über den Sommer geholfen hätte.

Eine lohnende Investition, wie sich herausstellte: Kurz darauf kam ein Fax vom Justizministerium: „Die Justizministerin Nora Owen möchte die allgemeine Öffentlichkeit daran erinnern“, hieß es in den Schreiben, „daß die Sommerzeit in Zusammenhang mit dem Gesetz über berauschende Flüssigkeiten in Kraft tritt.“ Was das bedeutet? Ganz einfach: Die Kneipen haben ab sofort eine halbe Stunde länger als im Winter geöffnet. Das ist doch endlich eine Nachricht, mit der man etwas anfangen kann.

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