: Was der Castor ist, warum er so heißt und wie sicher er ist
Die Kiste ist ein Stück deutscher Wertarbeit. Sie ist sechs Meter lang, wiegt beladen über 120 Tonnen und besteht aus Gußeisen, Graphit und Kunststoffen, die Neutronen abbremsen können. Kühlrippen leiten die Hitze der Fracht ab, für die der zwei Millionen Mark teure Container gebaut worden ist: stark radioaktive Stoffe, deren Zerfall noch jahrzehntelang Wärme erzeugt. Der griechische Mythenname ist in Wahrheit eine angelsächsische Abkürzung für „Cask for Storage and Transport Of Radioactive Material“. Das nun auch in Gorleben stehende Modell „IIa“ ist seit mehreren Jahren im Einsatz – erfolgreich und ungefährlich, wie die „Gesellschaft für Nuklearservice“ versichert. Das stimmt. Fast.
Ungefähr 100 Castor-Transporte führt die Bahn jedes Jahr durch, Pannen haben sich nicht ereignet. In Philippsburg allerdings ging plötzlich fast alles schief, was schiefgehen kann. Neun verbrauchte Brennelemente, die im Abklingbecken lagerten, sollten für Gorleben in den Transportbehälter eingeladen werden. Das geht nur unter Wasser, das die tödliche Strahlung abschirmt. Die Philippsburger Fracht von etwa 4,8 Tonnen strahlender Stoffe, darunter Plutonium, enthält etwa fünfmal mehr Radioaktivität, als in Tschernobyl freigesetzt wurde.
Auch wenn ein Teil ihrer Zerfallsenergie verbraucht ist, dürfen sich abgebrannte Brennstäbe nicht zu nahe kommen, sonst besteht die Gefahr, daß die atomare Kettenreaktion erneut in Gang kommt. Sie müssen daher in die neun dafür vorgesehenen Sicherheitspositionen im Innern des Behälters eingerastet werden. Schon das gelang in Philippsburg nur mit Mühe, danach aber paßte der doppelwandige Deckel nicht mehr. Tagelanger Murks war nötig, um just den Castor zu verschließen, mit dem das bisher leere Lager von Gorleben in Betrieb gehen sollte.
Gutachter des TüV und der Bundesanstalt für Strahlenschutz haben dem Unglücksgefährt schließlich doch ausreichende Sicherheit bescheinigt. Umweltministerin Angela Merkel fand, auch beim Backen könnten mal vom Rezept abweichend ein paar Krümel daneben fallen, der Kuchen schmecke trotzdem. Ein gewagter Vergleich. Denn auch ein vorschriftsgemäß verschlossener Castor strahlt. Die Oberfläche darf pro Stunde eine Radioaktivitätsdosis von zwei Millisievert abgeben. Die Toleranzgrenze liegt höher als die Strahlung, der Menschen in Deutschland während eines ganzen Jahres ausgesetzt sind – die sogenannte „Hintergrundstrahlung“ liegt in Deutschland zwischen 1,3 und 1,7 Millisievert pro Jahr.
Aus gutem Grund hat im letzten Sommer deshalb das niedersächsische Innenministerium empfohlen, für den Polizeieinsatz in unmittelbarer Nähe des Castors weder Frauen noch junge Männer einzusetzen – Strahlung auch in niedrigen Dosen schädigt die Fortpflanzungsorgane.
Aber auch ein fest verschlossener Castor ist nicht gegen alle Unfälle gesichert. Die Erbauer garantieren lediglich, daß er einen Sturz aus neun Metern Höhe unbeschädigt übersteht. Das entspricht einer Aufprallgeschwindigkeit von weniger als 50 Stundenkilometern – die Güterzüge, an die Castorwaggons in der Regel angehängt werden, fahren auch mal mit 100 Stundenkilometern durchs Land. Außerdem soll der Behälter eine Hitze von 800 Grad aushalten. Brände können diese Grenze leicht überschreiten, die Gußwände würden bersten, ebenso die Brennstäbe im Innern. Die Radioaktivität würde ganze Landstriche unbewohnbar machen.Niklaus Hablützel
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