: Großangelegte Bestandssicherung
In Berlin sollen per Stiftung zwölf Museen zum größten Stadtmuseum Europas vereinigt werden ■ Von Ulrich Clewing
Nun ist es also auf den Weg gebracht: In Berlin entsteht ein Stadtmuseum – nicht irgendeins, sondern das „größte Stadtmuseum Europas“. Nach Plänen von Kultursenator Ulrich Roloff-Momin sollen das Berlin-Museum, das Märkische Museum sowie eine ganze Reihe kleinerer Einrichtungen wie etwa das Museumsdorf Düppel, das Wassersportmuseum Grünau und die bislang privat geführte Domäne Dahlem zu einem einzigen und vor allem einzigartigen Museumskomplex vereinigt werden.
Hauptsache, die Zahlen stimmen: Zwanzig verschiedene Abteilungen, ein rundes Dutzend Ausstellungsorte, mehrere zehntausend Quadratmeter Ausstellungsfläche – und Exponate: vom steinzeitlichen Faustkeil bis zum Liebermann-Portrait, von Borsigs Dampfmaschine bis zu Marlene Dietrichs Abendkleid. Vergangene Woche hat die Berliner Landesregierung dem Konzept sein Placet gegeben. Jetzt geht der Stiftungsentwurf an die Ausschüsse Inneres, Finanzen und Kultur zurück, spätestens im Juli soll im Abgeordnetenhaus endgültig darüber entschieden werden.
Prima leben und sparen?
Besieht man sich die Konstruktion Stadtmuseum Berlin jedoch ein wenig genauer, ist der Glanz des Superlativs schnell verblaßt. Grund für die Einrichtung der Stiftung sei, so Roloff-Momin, daß dadurch „am ehesten die dauerhafte Sicherung der Museumsbestände gewährleistet“ werden könne. Diese Meßlatte hängt denkbar niedrig – seine Bestände zu bewahren ist nun wirklich das mindeste, was man von einem Museum erwarten kann. Als weiteren Vorteil der Stiftungsidee führen die Berliner Kulturverwalter an, daß die einzelnen Abteilungen des Riesenmuseums damit die Möglichkeit haben, ihre Etats unabhängig vom Kalenderjahr zu verplanen.
Tatsächlich aber wird zunächst einmal eingespart: Schon vor seiner Gründung machte der Senat dem Museum pauschale Minderausgaben von zwei Millionen Mark zur Auflage. Anders ausgedrückt: Hinter dreißig Planstellen steht der „k.w.-Vermerk“ – künftig wegfallend. Davon besonders betroffen ist das Märkische Museum, das in den letzten Jahren bereits siebzig Stellen gestrichen bekam. Entsprechend schlecht ist dort die Stimmung. Positiver stehen der neuen Stiftung die kleineren Institute gegenüber – gezwungenermaßen. Für sie geht es ums bloße Überleben.
Das scheint für das Stadtmuseum in spe symptomatisch zu sein: Wie so häufig in Berlin scheitert ein großer Wurf an der mangelnden Bereitschaft, ihn konsequent zu unterstützen und von Anfang an auf ein solides Fundament zu stellen. Am eklatantesten tritt dies am Beispiel des Jüdischen Museums zu Tage. Wer in diesen Tagen an der Kreuzberger Lindenstraße vorbeikommt, sieht dort eines der aufsehenerregendsten Museen der letzten Jahre entstehen. Rund 10.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche wird der Libeskind- Bau neu erschließen. Und es ist mehr als ein Museum: Durch seine künstlerische Architektur wird dieser Neubau zum Symbol.
Direktor Barzel – allein zu Haus
Seit dem vergangenen Jahr hat das Jüdische Museum einen Direktor. Mit Amnon Barzel, einem international renommierten Museumsmann und Ausstellungsmacher, wurde ein Leiter berufen, der sich wohltuend abhebt von dem sattsam bekannten Berliner Mittelmaß. Nur steht Barzel seit seiner Einstellung buchstäblich allein da. Zwar hat sich der Senat im Herbst 1993 nach Architektenwettbewerb und peinlich langem Hin-und-Her dazu durchringen können, den rund 160 Millionen Mark teuren Libeskind-Entwurf auch tatsächlich zu realisieren. Doch Geld für eine angemessene Zahl von Mitarbeitern, für den Ausbau der vorhandenen Judaika-Sammlung und für ein adäquates Ausstellungsprogramm ist in dem Budget des Jüdischen Museums nicht vorgesehen. Die Ansichten darüber, wie hoch dieses Budget zu sein hat, gehen stark auseinander. Barzel rechnet mit einem ungefähren Finanzbedarf von sieben Millionen Mark im Jahr. Das entspricht annähernd dem Betrag, den die Berlinische Galerie derzeit bekommt.
Die Berliner Kulturverwaltung sieht das ganz anders. Dort will man Barzel darauf festlegen, daß sein Museum nominell lediglich eine Abteilung des Berlin-Museums und damit auch des künftigen Stadtmuseums Berlin ist. Auf den ersten Blick gibt es daran auch gar nichts auszusetzen. Die Berliner Geschichte mit der jüdischen zu verknüpfen und nicht losgelöst von ihr zu betrachten macht Sinn, keine Frage.
Für die Senatsverwaltung aber ist dies zweitrangig. In erster Linie scheint es ihr darum zu gehen, die Kosten gering zu halten. Magere 150.000 Mark pro Jahr bleiben Barzel für seine Aktivitäten, zuviel zum Sterben, zuwenig zum Leben. Daher ist die Befürchtung, das Jüdische Museum werde fortan nicht mehr Bedeutung haben als beispielsweise das Friseur-, das Sport- oder das Schulmuseum weniger zynisch als realistisch. Für mehr, heißt es aus Roloff-Momins Museumsreferat, fehlen schlicht die Mittel. Und: Barzel solle erst einmal ein Konzept vorlegen, bevor er Forderungen stelle.
Doch das hat der Direktor längst getan. Barzel – wie oft hat er das eigentlich schon gesagt? – will das Jüdische Museum zu einem Ort machen, an dem nicht nur liturgische Gegenstände präsentiert werden, sondern der auch diejenigen anlockt, die sich nicht von vornherein für die jüdische Religion interessieren.
Chanukkaleuchter statt Gegenwartskunst?
Barzel hat vor, in seinem Museum Künstler zu zeigen, die anderen Berliner Institutionen ebenso gut zu Gesichte stehen würden: darunter etwa Ilya Kabakov, Christian Boltanski und Jochen Gerz. In konzeptuelle Trockenübungen lassen sich solche Vorhaben freilich nur schwer integrieren. Ausstellungen mit Künstlern dieses Formats plant man nicht für den Papierkorb.
Seine Vorstellungen haben Barzel erst kürzlich wieder auf einer Diskussionsveranstaltung die Vorhaltung von Kollegenseite eingebracht, ob er nicht am falschen Museum sei. Die Infamie dieses Vorwurfs muß man einmal klarmachen: Das Jüdische Museum solle sich gefälligst darauf beschränken, ein paar Thorakronen, Passahplatten und Chanukkaleuchter auszustellen, nicht aber den übrigen, auf zeitgenössische Kunst abonnierten Museen Konkurrenz machen. Daß sich Barzel nicht mit der Rolle des Verwalters eines unbegreiflichen Verlusts zufriedengeben möchte, sondern Jüdisches und Nichtjüdisches, Vergangenheit und Gegenwart zu einem eigenen Ganzen verschmelzen will, paßt offenbar nicht in die Denkschemata der Berliner Kulturfunktionäre.
Der Senat scheint nicht begreifen zu wollen, welch ein Glücksfall ein Mann wie Barzel darstellt – und er hat auch nicht begriffen, daß die Versorgung des Jüdischen Museums nicht allein Sache des Kultursenators sein kann: Die gesamte Landesregierung ist gefragt. Doch wer sich an die bemerkenswert inkompetent geführte Diskussion um den Libeskind-Bau erinnert, den dürften Zweifel beschleichen, ob sie sich über die Bedeutung des von ihr initiierten Projekts Jüdisches Museum überhaupt im klaren ist.
Natürlich ist das Geld knapp. Andererseits: Für einen Senat, der es sich leisten kann, bei den Vorbereitungen für einen Flughafen, den niemand brauchen wird, 400 Millionen Mark in den Sand zu setzen, der mal eben 60 Millionen für eine dilettantische Olympiabewerbung ausgibt, der sich das Großreinemachen des Abgeordnetenhauses die Kleinigkeit von 190 Millionen Mark kosten läßt, oder, um ein letztes von vielen möglichen Beispielen zu nennen, den Berliner Kirchen 130 Millionen jährlich zusteckt, sind fehlende Finanzen eine schlechte Entschuldigung. Wie meinte Amnon Barzel vor nicht allzu langer Zeit? Die Kostenfrage ist eine Frage der Prioritäten, die man setzt.
Dem ist nichts, aber auch gar nichts hinzuzufügen.
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