: Gedenken – aber bitte zum Nulltarif
Auf der Bayer-Hauptversammlung in Köln engagierten sich die kritischen AktionärInnen erfolglos für einen Fonds zur Entschädigung ehemaliger ZwangsarbeiterInnen der IG Farben ■ Von Annette Jensen
Arne Pingel umkurvt den Flugblattverteiler und steuert auf vier Kolleginnen zu, schnell vorbei an den Leuten, die ihm ein Plakat „Verantwortung für Krieg und Naziverbrechen“ entgegenstrecken. „Ich habe die Gnade der späten Geburt, wie unser Kanzler schon zu sagen pflegte“, verkündet der Bayer-Azubi dann grinsend, während ihn eine junge Frau am Schlips zieht: „Du bist ja so schick heute. Alle sind so schick heute. Mir gefällt das.“
Zu den ProtestiererInnen neben ihr, die Wiedergutmachung für die letzten Überlebenden der IG- Farben-Verbrechen fordern, will sie lieber nichts sagen. Und auch ihre Freundin, die den knalligblauen Lidschatten bis zu den Augenbrauen hochgezogen hat, findet: „Man muß das länger diskutieren – aber nicht jetzt.“ Denn jetzt müssen sie alle eilig hinein in die Kölner Messehalle. Obwohl die Hauptversammlung des Chemiekonzerns Bayer erst in einer Dreiviertelstunden beginnt.
Es versammelt sich eine Gesellschaft wie bei einer Buttertour. Aktenkoffermänner gehen in der Menge unter. Mechanisch greifen die vorwiegend älteren Leute nach den Flugblättern, die ihnen Marianne Thelen hinhält, oder sie laufen mit abgewandtem Gesicht vorbei. „Was haben wir damit zu tun?“ mault ein Mann im dunklen Anzug, ohne eine Antwort abzuwarten. Die 70jährige Frau mit Schlägermütze und dem „Gorleben soll leben“-Sticker hat ihre eigene Erklärung: „Viele krabbelten sich nach dem Krieg mühsam hoch. Und jetzt haben sie Angst um ihren Reichtum.“
Dabei wollen sie und ihre KollegInnen von der „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ den AktionärInnen die Dividende nicht streitig machen: Nur eine Mark pro Aktie soll in einen Fonds für die ehemaligen ZwangsarbeiterInnen im KZ Auschwitz-Monowitz fließen, so fordern sie. Die polnischen und russischen Frauen und Männer, die in dem von von der IG Farben errichteten Lager schufteten, haben bis heute keinen Pfennig Entschädigung bekommen – während Bayer, Hoechst und BASF 90 Prozent der IG-Farben erbten. „Deshalb fordern wir Sie auf“, so die kritischen AktionärInnen: „Stimmen Sie gegen die Vorschläge der Bayer-Verwaltung. Stimmen Sie mit nein.“
Im Papierkorb neben dem Eingang liegen schon haufenweise Flugblätter, alle ordentlich gefaltet. Punkt zehn schallt die Stimme des Aufsichtsratsvorsitzenden Hermann Strenger durch die schmucklose Empfangshalle: „Meine sehr verehrten Damen, meine Herren“, begrüßt er die AktionärInnen nach Bayer-Hausbrauch. Ein paar tausend Versammelte schauen in Richtung des festungsartig wirkenden Podiums, wo rund 30 Männer und eine Frau vor einem leuchtenden Bayer-Emblem sitzen.
„Wir freuen uns, daß wir Ihnen einen – wie wir meinen – guten Abschluß für das Jahr 1994 vorlegen können. Umsatz und Gewinn sind beträchtlich gestiegen“, verkündet jetzt Konzernchef Manfred Schneider. 13 Mark Dividende pro Aktie mit 50 Mark Nennwert werden dieses Jahr ausgeschüttet. Der ergraute Mann blickt über den Rand seiner Halbbrille und legt wie eingeübt die Fingerspitzen beider Hände aneinander. Er hat das Publikum auf seiner Seite. Als er endet: „1994 war gut, 1995 ist besser“, erntet er heftigen Applaus.
Doch dann muß er verkünden, daß 41 Gegenanträge für die Hauptversammlung eingegangen sind. „Sie stammen ohne Ausnahme von der Coordination gegen Bayer-Gefahren oder aus deren Umfeld“, sagt er, und sein Mißfallen wird durch die heftiger werdenden Armbewegungen deutlich. Jedes Jahr aufs neue kämen die gleichen Vorwürfe, immer ein wenig anders verpackt, damit sie auf das aktuelle Geschäftsjahr paßten. Fast alles seien reine Meinungsäußerungen, die man im Hause Bayer nicht nachvollziehen könne. „Soweit ein sachlicher Kern erkennbar war, sind wir jedem Vorwurf nachgegangen. Keiner hielt einer kritischen Prüfung stand“, konstatiert er. Für das IG-Farben- Thema senkt Schneider seine Stimme zu einem sonoren Gedenk-Ton: „Wir alle sind uns einig in der Verurteilung des 3. Reiches. Wir sollten dafür eintreten, daß sich sowas nie wiederholt.“ Beifall. „Mir fehlt jedes Verständnis, wenn Gegner unseres Unternehmens auf unserer Hauptversammlung auftreten, um Bayer zu verunglimpfen. Das ist unwürdig. Das sollte nicht der Umgang mit Geschichte sein.“ Und nach einer Pause: „Wir bitten Sie, für die Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats zu stimmen.“ Genau das wollen die kritischen AktionärInnen nicht.
Mittagsessenszeit. Früher gab es bei der Gelegenheit kleine Präsente, Haarshampoo, Mückenkiller, jetzt locken nur noch Bockwurst und ein Schwätzchen mit alten Bekannten. Josef von Hasselt hat sich einen Sitzplatz gesichert. Zur Entschädigung, nein, dazu will er sich eigentlich nicht äußern. „Die Kinder können doch nicht verantwortlich gemacht werden für das, was die Älteren gemacht haben“, meint der 80jährige. Und wenn es dazu käme: „Das wären ja horrende Forderungen.“ Sein Nachbar kommt ihm zu Hilfe: „Das betrifft doch Bayer alles gar nicht. Bayer ist nicht die Rechtsnachfolgerin von den IG-Farben.“
Ein Mittfünfziger findet es eine „Sauerei, daß deutsche Firmen KZ-Häftlinge ausgebeutet haben. Aber wir leben nun mal im Kapitalismus.“ Und das Interesse der Aktionäre sei die Dividende. Da sei er keine Ausnahme. „Ich werde nicht für den Fonds stimmen“, sagt er, und schweigt eine Weile. „Ich denke, das beste ist, wenn ich mich enthalte.“
Unterdessen erörtern Aktionärsvertreter einen Stock höher Fragen nach der Entwicklung von Aspirin in den USA und ob der bisherige Personalabbau bei Bayer für eine erfolgreiche Zukunft ausreiche. Später dürfen dann auch die kritischen Aktionäre ihre Fragen zu Gentechnik und Pestiziden stellen. Es ist schon später Nachmittag, die Presseleute sind weg und die Reihen ausgedünnt, als Axel Köhler-Schnura von den kritischen AktionärInnen ans Mikrofon darf.
Der Mann mit kariertem Hemd und Jeans ist wütend. „Sie meinen, das Thema der NS-Zeit gehört nicht hierher“, empört er sich und beginnt mit einer Geschichtslektion. Carl Duisburg, Generaldirektor bei Bayer, sei die treibende Kraft für den Zusammenschluß der deutschen Chemieindustrie 1925 zur IG Farben gewesen. „Ist ja unerträglich. Der sollte arbeiten gehen“, raunt es aus der dritten Reihe. Zwei Bankenvertreter, die im Presseraum auf ihren Kaffee warten, geben sich gelangweilt: Historikerseminare gehörten doch nicht auf eine Hauptversammlung. Aber sie müssen ausharren. Denn erst am Schluß wird abgestimmt.
„Die IG-Farben avancierte zum größten Einzelspender der Hitler- Partei und förderte die Machtergreifung Hitlers nach Kräften“, sagt Köhler-Schnura gerade, da fällt das Mikrofon aus. Seine nächsten Worte gehen ins Leere. Der Aufsichtsratsvorsitzende Strenger greift vom Podium aus ein: „Sie behaupten teilweise falsche Tatsachen, ihre Aussagen sind beleidigend.“ Das Publikum ist aufgewacht, klatscht.
Köhler-Schnura, der Mann mit dem grauen Zopf, darf fortfahren. Doch nicht lange. In immer kürzeren Zeiträumen wird das Mikrifon abgeschaltet. Pfiffe aus verschiedenen Saalecken, hier und da ein „Aufhören!“-Ruf. Jetzt wendet sich der Aufsichtsratsvorsitzende ans Auditorium: „Meine Damen und Herren, ich verstehe Ihre Aufregung – aber bitte lassen Sie sich nicht provozieren.“ Schließlich bleibt das Mikro endgültig tot. Was Köhler-Schnura nicht mehr sagen kann, ist, daß 370.000 Menschen zwischen 1941 und 1945 in dem Konzentrationslager der IG Farben umgekommen sind. Die IG Farben kauften außerdem für Menschenversuche Häftlinge regelrecht ein und „forschten sie bei vollem Bewußtsein unter qualvollsten Bedingungen zu Tode“.
Einige kritische AktionärInnen stellen sich neben Köhler-Schnura ans Rednerpult. Saalordner sammeln sich drohend in ihrer Nähe. Ein alter Mann eilt zum anderen Mikrofon: „Das sind doch alles olle Kamellen. Wir können uns doch nicht immer noch mit der Christen- und Judenverfolgung beschäftigen“, ereifert er sich. Auf irgendeine Weise seien in Hitlerdeutschland alle gezwungen gewesen zu folgen, Bayer bilde da keine Ausnahme. „Es hat ein großartiges Ergebnis dieses Jahr gegeben“, lenkt er den Blick zurück auf die Gegenwart. „Wir sollten dem Vorstand durch Applaus zeigen, daß wir sehr zufrieden sind“, fordert der Mann – und viele folgen seinem Vorschlag.
Als der Geschäftsführer der Bayer-Coordination, Philipp Mimkes, aufgerufen wird, stöhnt ein Zuhörer auf: „Oh Gott, jetzt blockieren die auch noch beide Mikrofone.“ „Holen Sie doch die Polizei“, ruft ein andere Zuhörer. „Das sind Pseudoaktionäre.“
Strenger entschließt sich durchzugreifen und richtet sich an die Saalordner: „Bitte begleiten Sie diese Herren zurück zu ihren Plätzen“. Die etwa 30 Männer in blauen Jarketts und grauen Hosen verstehen das Signal. Rasch gehen die Ordner auf die Rednerpulte zu, packen Köhler-Schnura und einen weiteren Mann und schleifen sie aus dem Saal. Später dürfen die Kritiker, draußen vor der Tür, abstimmen – damit dem Aktienrecht genüge getan wird. 99,96 Prozent der AnteilseignerInnen votieren für die Entlastung des Vorstandes und damit gegen einen Fonds für die ehemaligen ZwangsarbeiterInnen der IG Farben.
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