: Sprünge im Gravitationsloch
■ Bestes Entertainment für nur 12 Mark - am Sonntag verkündeten durchgeknallte Vertreter der "deutschen Rael-Bewegung" die heilbringende Botschaft der Außerirdischen
Der Saal in der Kongreßhalle am Alexanderplatz war proppenvoll. Eltern kamen mit ihren Kindern, Männer mit ihren Trainingsanzügen, Frauen mit ihren Männern. Einige kamen in Turnschuhen, andere hatten sich festlich angezogen, um „die Wahrheit über Ufos“ zu erfahren. Am Eingang stand eine kräftige Frau im goldglitzernden Spacekostüm. Der 30. April sei „ein Meilenstein in der Geschichte der Stadt“ sollte später Marcel Hoffmann, der bärtige Pressesprecher der „deutschen Rael-Bewegung“ sagen, denn es sei das erste Mal in Berlin die heilbringende Botschaft der Außerirdischen verkündet worden.
Von Rael war zwar auf den Plakaten nicht die Rede gewesen, aber macht ja nichts. Zunächst gab es also ein Video, in dem unscharf und verwackelt ein paar fliegende Untertassen über die Leinwand huschten. Ältere Herren, die in irgendwelchen Top-secret-Ausschüssen sich dem Ufo-Phänomen gewidmet hatten, berichteten von ihren Sichtungen. Der „Bestseller- Autor von Butlar“ (wie alle männlichen Ufo-Freunde mit Bart) berichtete von „Gravitationslöchern“, in denen man sich rückwärts in der Zeit bewegen könne.
Auch im zweiten Video des Abends wurde „an den Grundfesten Ihres Glaubens“ gerüttelt. Zuvor berichtete der Pressesprecher der Rael-Bewegung von der „Offenbarung“ des Claude Vorilhon, von einer fliegenden Untertasse, aus der ein kleines, menschenähnliches Wesen herausgeklettert sei, um dem ehemaligen Motorsportjournalisten die Rätsel der Welt zu enthüllen.
In dem dänikenmäßigen Video wurde erklärt, daß es in den heiligen Schriften der Menschheit nicht um Götter, sondern um Außerirdische (i.e. die „Elohim“) gehe und daß Herr Vorilhon nach Buddha, Jesus und Mohammed der letzte der Propheten sei. Später hätten die „Elohim“ Vorilhon, der seitdem als Rael durch die Sektengeschichte vagabundiert, sogar mit auf ihren Planeten genommen, ihn die „sinnliche Meditation“ gelehrt und beauftragt, für die Errichtung eines Botschaftsgebäudes zu sorgen, denn die Schöpfer wollten gern mal ihre Geschöpfe besuchen. „Der genaue Text der Botschaft ist in der Pause und in Ihren Buchhandlungen erhältlich“, und das kindliche Modell der Alien-Botschaft stand am Rande des Saals. Ungläubig kicherten viele, andere verließen den Saal. Ein junger Mann wollte die Sekte gleich morgen bei seinem Freund, dem Sektenbeauftragten der SPD, verpetzen, eine junge Frau zündete sich – schockiert ob der Neuigkeiten – in der Pause ihre Zigarette falsch rum an.
28.000 Mitglieder in 40 Ländern habe die Rael-Bewegung, erklärte eine selbstbewußte Sektenmanagerin hernach. Die Juden seien die direkten Nachfahren der Außerirdischen, das Botschaftsgebäude solle in der Nähe von Jerusalem entstehen. Wenn Israel den Bau ablehne, „wird es dem Druck seiner Feinde nicht mehr widerstehen können“.
Annique aus der Schweiz, „Erzieherin für kleine Kinder“, berichtete strahlend, daß „Licht“ in ihr Leben kam, seitdem sie zum ersten Mal von Rael & den Außerirdischen gehört hatte. Ein Rael- Mann mit Zöpfchen, der den Skeptiker mimte, fand alles sehr „logisch“ – „da ist was dran“. Ein Herr von der Naturgesetzpartei widersprach dem „kruden Materialismus“ der Raelianer dagegen aufs heftigste. Pressesprecher Marcel Hoffmann verwickelte sich bei der Beantwortung von Zuschauerfragen in tausend Widersprüche.
Obgleich die „Rael“ im Sektenverbrauchertest bestenfalls eine drei Minus kriegt, war es doch ein recht amüsanter Abend. Drei Stunden bestes Entertainement für 12 Mark – wo kriegt man das schon. Detlef Kuhlbrodt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen