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Berliner TagebuchEs riecht nach Soldaten

■ Berlin vor der Befreiung: 3. Mai 1945

Foto: J. Chaldej / Voller Ernst

Von meinem Schreibtisch aus sehe ich nun in lauter grüne Lindenkronen. Darunter augenblicklich Ruhe. Weder deutsche noch russische Soldaten, keine Panzer, keine Flüchtlinge, keine plündernden Hausfrauen, nur hin und wieder vereinzelte Rotarmisten. (Sie gehen stets zu zweit, meist direkt am Rand des Bürgersteigs.) In der Ferne immer noch Geschützdonner. Unsere Hauptsorgen: Erhaltung der Wohnung, Wasser. Licht, Verpflegung. Mit der steht es etwas besser, da wir eine Portion Trockenkartoffeln erwischt haben und zwei Gemüsedosen. Brot geht zu Ende, vielleicht kann man noch einmal backen. Wir haben den größten Teil unserer Briketts aus der Garage geholt. Sachlich gesehen wissen wir immer noch nicht, was los ist. Wo ist Goebbels geblieben, wo Göring? Von wo aus „befiehlt“ Dönitz? Wer hat eigentlich für Berlin kapituliert? Wir erfahren gar nichts.

Abends Rotarmisten bei uns, beschlagnahmen mein Zimmer. Erst heißt es, acht Mann sollen über Nacht bleiben, schließlich werden es zwölf und mehr. Leider haben sie Alkohol bei sich. Lina muß Tee kochen, Brote schneiden, Heringe ausnehmen. Ich – die „artista“ – solle ruhig bei ihnen auf der Kautsch schlafen, sagt einer lachend. Es entwickelt sich ein gespenstisches Lagerleben, alles in Rembrandtschem Helldunkel, da wir die Szenerie nur mit zwei Kerzen beleuchten können, die dauernd hin und her gereicht werden. Die Soldaten verlangen sich zu waschen. Ziehen Mäntel, Mützen, Jacken, Stiefel aus. Gewehre lehnen an der Wand. Im Kerzenschein sitzen diese grenzenlos fremden Menschen um Vaters Schreibtisch und tafeln; Geri und Edith, russisch sprechend, mit ihnen. Es riecht nach Soldaten, Schweiß, Leder, Zigarettenrauch, Schnaps und Heringen. Es riecht so heimatlos. Karla Höcker

„Die letzten und die ersten Tage“ Verlag Bruno Hessling, Berlin 1966.

Karla Höcker (geb. 1901), bis 1937 Bratschistin beim Bruinier- Quartett, freie Schriftstellerin und Musikjournalistin.

Recherche: Jürgen Karwelat

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